Eroberung der inneren Freiheit, Die

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Knackis und Philosophie – wie alle überraschenden Gegensätze eine viel versprechende Mischung für einen Dokumentarfilm, den in diesem Fall Silvia Kaiser und Aleksandra Kumorek gedreht haben. Sie beobachten die Versuche der Haftanstalt Berlin-Tegel, mittels „Sokratischer Gespräche“ einen besseren Zugang zu langjährig inhaftierten Schwerverbrechern zu bekommen. Das Ergebnis liefert interessante Einblicke in den Gefängnisalltag, geht allerdings ein wenig am Thema vorbei.

Webseite: www.realfictionfilme.de

Deutschland 2009
Regie, Buch: Silvia Kaiser und Aleksandra Kumorek
Kamera: Susanne Fuchs, Marcel Rastegui
Schnitt: Bettina Blickwede, Chris Valentien
Musik: Michael Jakumeit, Klaus-D. Brennecke, Marian Lux
Dokumentation
Länge: 80 Min.
Verleih: Real Fiction Filmverleih
Kinostart: 27. Mai 2010
 

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Seit dem Jahr 2000 führt die Haftanstalt Berlin-Tegel ein weltweit einmaliges Experiment durch: Häftlinge, größtenteils Schwerverbrecher, die wegen Delikten wie Raubmord, Auftragsmord oder Drogenhandel oft lebenslange Haftstrafen absitzen, sprechen mit Philosophen. Sie folgen dabei der so genannten „Sokratischen Methode“, die nicht auf einem Dialog zwischen einem Lehrer und einem Schüler oder einem Arzt und einem Patienten basiert, sondern mittels eines Gruppengesprächs zu einer tieferen Form der Selbsterkenntnis führen soll. So sieht man dann etwa den stark tätowierten, langhaarigen Mörder Gaston über die Ursachen seiner Tat sinnieren, hört dem berlinernden Urkundenfälscher Silvio und dem Dealer Gordon zu, wie sie die Faszination des kriminellen Lebens hinterfragen, und ist vor allem überrascht ob der Eloquenz, mit der die Häftlinge über sich, ihre Taten und ihr Leben sprechen. Ganz stringent folgt Silvia Kaiser und Aleksandra Kumoreks Dokumentation den Gesprächsrunden, die unter Oberbegriffen wie „Der Kick des Verbrechens“ oder „Die Last mit den Anderen“ ablaufen. Dazwischen geschnitten: Interviews mit den Gefangenen, Aufnahmen des Gefängnisalltags, die mit etwas betont melancholischer Musik das triste Leben hinter Gittern zeigen.

Interessante Aussagen hört man da zum Teil, lernt komplexe Charaktere kennen und fragt sich doch irgendwann, was das denn alles mit Philosophie zu tun hat. Die Krux des Themas, dass die beiden Regisseurinnen wählten, ist nun einmal, dass ein Sokratisches Gespräch ohne unmittelbares Ziel stattfindet, sich somit auch ein Erfolg oder Misserfolg nicht wirklich feststellen lässt. Die beiden Gesprächsleiter – die Philosophen Horst Gronke und Jens Peter Brune – machen im Presseheft zum Film keinen Hehl aus dieser Tatsache, was im Film selbst bedauerlicherweise nicht thematisiert wird. Ob es also an den besonderen Methoden liegt, dass die Gefangenen über sich und ihre Taten reflektieren oder ob sie einfach durch selbstständige Lektüre, durch die zwangsläufig ausgiebige Zeit zum Nachdenken in der Haft zu den vorgetragenen Überlegungen gekommen sind; der Film entzieht sich einer Beantwortung dieser Frage. Im Vergleich zu anderen Filmen über Häftlinge, ehemalige Gefangene oder ähnliche Personenkreise, die man gemeinhin nicht mit einem besonders ausgeprägten Hang zur Selbstreflektion in Verbindung bringt, unterscheidet sich das in „Die Eroberung der inneren Freiheit“ Gezeigte und Gehörte jedenfalls kaum. Was den Film nicht uninteressant macht, die Einblicke in eine dem Durchschnittsbürger ansonsten verschlossene Welt bleiben wertvoll. Nur mit dem Thema Strafgefangene und Philosophie hat es relativ wenig zu tun.

Michael Meyns

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