Fidai

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Was für ein eigentlich unspektakulärer, doch gleichzeitig packender und spannender Dokumentarfilm: Der französisch-algerische Regisseur Damien Onouri porträtiert auf eindringliche Weise seinen Großonkel, der als junger Mann als Attentäter in der algerischen Revolution kämpfte – und sich fünfzig Jahre später an seine Taten erinnert. Ein echtes Doku-Highlight im bisherigen Kinojahr 2013.

Webseite: www.mecfilm.de

Algerien, Frankreich, Deutschland, China 2012
Regie & Buch: Damien Onouri
Länge: 76 Minuten
Verleih: Mec Film
Start: 16.5.2013

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Im Islam ist ein Fidai ein „Opferbereiter, der sogar bereit ist, sein Leben für die Wahrheit zu opfern“. Ein typischer Begriff für den Märtyrer-Kult aus dem Nahen Osten – und doch keiner, der die gefürchteten Selbstmordattentäter der Taliban oder anderen islamischen Mudschaheddin-Bewegungen umschreibt. Der Fidai gleicht eher dem lateinamerikanischen Revolutionär nach Prägung Che Guevaras. Ein heldenhaft verklärter Freigeist, der im bewaffneten Kampf den einzigen Ausweg erkennt. Oder wie es der Algerier El Hadi, Protagonist dieses Films beschreibt: „Lieber als Fidai mit der Waffe in der Hand sterben, anstatt als einfacher Mann des Volkes erschossen zu werden.“

Laute Worte, stiller Mann: El Hadi ist mittlerweile 70 Jahre alt und wirkt auf der Kinoleinwand wie ein freundlicher und zurückhaltendes Kerlchen. Würde man ihn hierzulande antreffen, würde man hinter den großen Brillengläsern einen bescheidenen Geist vermuten, der sich vielleicht als Änderungsschneider oder Kiosk-Besitzer verdingt. Nicht unbedingt einen Attentäter. Filmemacher Damien Onouri erfährt erst sehr spät von der Vergangenheit seines Großonkels. Viele Jahre war dieses Familienkapitel ein streng gehütetes Geheimnis. Ein Tabuthema. Doch irgendwann öffnete sich El Hadi. Und die Kamera seines Großneffen fängt ihn nun in seinen persönlichsten und intimsten Momenten ein.

Noch einmal kehrt er an die Orte zurück, wo er im Auftrag der algerischen Befreiungsbewegung FLN morden sollte. Nicht nur das: Für die Kamera stellt er die Attentate sogar deitailgetreu nach. 1961 war Algerien von vom französischen Militär besetzt und „überall waren Soldaten“, wie sich El Hadi erinnert. Ein ehemaliger Bauernhof in seiner Heimatstadt wurde zum Gefängnis und Foltercamp umfunktioniert. Mit 19 Jahren schloss sich El Hadi dem bewaffneten Untergrundkampf an und „wusste morgens nicht, ob er abends überhaupt noch leben würde.“ Er verübt zwei Attentate auf algerische Kollaborateure, einer kommt dabei ums Leben. Ab 1962 fahndet die französische Polizei nach ihm und fängt ihn kurz darauf. Ironischerweise in Paris, wo El Hadi untertauchen wollte.

Mit offener Blende und Handkamera ist Regisseur Damien Onouri stets ganz nah an seinem Protagonisten, aber auch an den Familienmitgliedern dran, die hier ebenfalls zu Wort kommen. Atmosphärisch unglaublich dicht und spannend führt er die Zuschauer an die Tatorte und unterfüttert die Szenen einmal auch mit Originalaufnahmen aus dem Algerien-Krieg. Die Bilder sind grausam und brutal. Man sieht Leichen brennen oder Soldaten, die Zivilisten erschießen. Dazu gibt es keinen Ton, die Aufnahmen entfalten in der Stille ihre bestialische Wucht. Der Attentäter von einst ist ebenfalls zu einem stillen Mann geworden. Die Bilder in seinem Kopf bekommt man nicht zu sehen. Aber eine ziemlich gute Abbildung davon.

David Siems