Fremde, Die

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So schnell sie 2004 mit Fatih Akins „Gegen die Wand“ ins Rampenlicht geriet, so schnell verschwand sie auch wieder. Jetzt meldet sich Sibel Kekilli mit „Die Fremde“ eindrucksvoll zurück. Als junge deutsch-türkische Frau, die ein selbst bestimmtes Leben gegen die Familien-Konventionen durchsetzen will, spielt sich Kekilli geradezu die Seele aus dem Leib und gibt Feo Aladags klug analysierendem Drama über sogenannte Ehrenmorde seine emotionale Wucht.

Webseite: www.diefremde.de

Deutschland 2010
Buch und Regie: Feo Aladag
Darsteller: Sibel Kekilli, Settar Tanriögen, Derya Alabora, Florian Lukas, Nizam Schiller, Tamer Ygit, Serhad Can
Länge: 119 Minuten
Verleih: Majestic
Kinostart: 11. März 2010
 

PRESSESTIMMEN:

Großes Kino ohne Worte (...) Bis in die kleinsten Rollen großartig besetzt, zeigt dieser Spielfilm eindringlich eine Realität, die wir oftmals hinter Klischees oder in Schubladen verstecken.
ZDF - Aspekte

FILMKRITIK:

Der starke Auftritt der Schauspielerin kommt ziemlich überraschend. Denn nach „Gegen die Wand“ wurde es ziemlich ruhig um die mittlerweile 29-Jährige. Es folgten Kleinstrollen in „Kebab Connection“ (2005) und Fay Grim (2006). In Hans Steinbichlers „Winterreise“ (2006) vermochte sie sich an Josef Bierbichlers Seite nicht zu profilieren. Und auch in Dieter Wedels verunglücktem TV-Zweiteiler „Gier“, der im Januar in der ARD gezeigt wurde, fielen ihre Defizite auf. Mit ungelenkem Spiel und Texten, die wie aufgesagt wirkten, mühte sich Kekilli mit ihrer Rolle als erotischer Troubleshooter ab. In „Die Fremde“ ist nun (fast) alles anders. Ihre Umay, die mit Sohn Cem vor dem gewalttätigen Ehemann aus Istanbul zu ihren Eltern nach Berlin flüchtet, hat es an sich. Wenn Kekilli ihren Bruder anbrüllt, gleicht dies einer Explosion. Wenn sie hartnäckig das Verständnis der Familie zu erringen versucht, wird ihr Mut sichtbar. Und wenn sie buchstäblich Rotz und Wasser heult, wirkt ihre Verzweiflung schmerzhaft echt.

Möglicherweise kann Kekilli ihre Emotionen so ungestüm freisetzen, weil ihr das Thema nah ist. Nachdem ihre Porno-Vergangenheit bekannt geworden war, brachen ihre türkischen Eltern den Kontakt zu ihr ab. Außerdem engagiert sich die Schauspielerin bei Terre des femmes gegen Gewalt an muslimischen Frauen. Und nicht zuletzt versteht es Aladag im Verbund mit Kamerafrau Judith Kaufmann, Kekillis Stärken zu nutzen, vor allem ihr Mienenspiel. Immer wieder ruht die Kamera auf ihrem sorgsam ausgeleuchteten Gesicht, dessen ausdrucksstarke Züge mehr erzählen als jeder Dialog. Bisweilen wirkt sie wie eine traurige weibliche Botticelli-Figur, eine Madonna der verzweifelten Selbstbehauptung.

Verzweiflung gesteht die Regisseurin, die auch das Drehbuch schrieb, nicht nur ihrer Hauptfigur Umay zu. Auch deren Eltern und Geschwister werden davon erfasst. Denn wenngleich Aladag keinen Zweifel an der Legitimität des Wunsches junger türkischer Frauen lässt, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen, zeigt sie auch die fatalen Folgen, die das für deren Familien haben kann. Die Regeln der Ehre erzeugen sozialen Druck, dem die Familie ausgeliefert ist. Selbst wenn ihnen ihr Gefühl etwas anderes sagt, müssen Eltern und Geschwister auf bestimmte Weise handeln, wollen sie nicht selbst aus der Gemeinschaft ausgestoßen werden. Es ist ein geschlossenes System: Bestimmte Handlungen ziehen bestimmte Folgen nach sich. Und dementsprechend reihen sich die Ereignisse im Film mit kalter Mechanik aneinander – als ob man Perlen auf eine Kette zieht. Opfer sind am Ende alle. Es ist von Beginn an klar, wie sich die Dinge entwickeln werden. Aladag macht dies schon mit ihren Anfangsbildern deutlich. Dennoch gelingt ihr ein überraschender Schluss, der die zerstörende Wirkung des Konstrukts Familienehre auf den Punkt bringt.

Volker Mazassek

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