Gegenschuss

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Gut 30 Jahre ist es nur her, dass der Filmverlag der Autoren auseinaderbrach. Er bezeichnete das Ende einer Ära, die inzwischen in Vergessenheit zu geraten droht, aber das beste deutsche Kino nach dem Krieg hervorgebracht hat. „Gegenschuss – Aufbruch der Filmemacher“ lässt die Ära des deutschen Autorenfilms zum Leben erwecken, verbindet Interviews mit zeitgenössischen Aufnahmen und Ausschnitten aus unvergessenen Filmen und macht vor allem Lust, sich einmal mehr mit den Filmen von Herzog, Fassbinder, Wenders und all den anderen zu beschäftigen.

Webseite: kinowelt.de

Deutschlans 2008 - Dokumentation
Regie: Rainer Kölmel, Anja Pohl, Laurens Straub, Dominik Wessely
Buch: Rainer Kölmel, Laurens Straub
Kamera: Knut Schmitz
Schnitt: Anja Pohl
Musik: Philipp F. Kölmel
Mit: Werner Herzog, Rainer Werner Fassbinder, Wim Wenders, Hans W. Geißendörfer, Thomas Schamoni, Alexander Kluge, Hark Bohm, Peter Lilienthal
120 Minuten, Format 1:1,85
Verleih: Kinowelt Filmverleih
Kinostart: 14. Februar 2008
 

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Im April 1971 wurde in München der Filmverlag der Autoren gegründet. Eine Produktionsgenossenschaft (später auch Verleih), der zum Synonym für das deutsche Autorenkino der 70er Jahre geworden ist. 13 Filmemacher hatten sich an der Gründung beteiligt, darunter Wim Wenders, Peter Lilienthal, Thomas Schamoni und Laurens Straub. Andere wichtige Regisseure jener Zeit – vor allem Rainer Werner Fassbinder, Werner Herzog und Alexander Kluge – gaben ihre komplette Unabhängigkeit nie auf, waren dem Umfeld des Filmverlags jedoch mehr oder weniger stark verbunden. 

Was die so unterschiedlichen Charaktere verband, war das Verlangen Filme zu drehen. Filme, die sich vom bis dahin vorherrschenden deutschen Kino drastisch unterschieden, Filme, die sich nicht verzweifelt bemühten unerreichbaren Vorbildern aus Hollywood nachzueifern, sondern die im besten Sinne deutsche Geschichten erzählten. Und wie es sich vor einigen Jahren mit der so genannten Berliner Schule wiederholte, war es auch im Fall des deutschen Autorenfilms zunächst das Ausland, das von diesen neuen, jungen Regisseuren Notiz nahm.

Worin genau die Besonderheiten dieses Kinos lagen und auch wie es sich vom deutschen Mainstream-Kino unterschied, vermag die Dokumentation trotz einer Länge von zwei Stunden nicht wirklich herauszuarbeiten. Sehr viel Zeit wird mit den Anfängen des Autorenkinos – Ende der 60er Jahre – verbracht, während das Ende des Kollektivs überaus abrupt abgehandelt wird. Ein Grund für diese Unausgewogenheit mag in den zahllosen Anekdoten liegen, die die inzwischen älteren Herren (Frauen waren bezeichnenderweise keine beteiligt) im Rückblick auf ihre große Zeit zu erzählen haben. Besonders die lakonischen Erzählungen Laurens Straub – der am Film mitarbeitete, jedoch während der Dreharbeiten verstorben ist – erwecken die im nachhinein oft amateurhaft wirkenden Anfänge zum Leben. 

Archivaufnahmen, vor allem von Rainer Werner Fassbinder und zahlreiche, ebenfalls sehr lange Ausschnitte etlicher exemplarischer Werke des Autorenkinos runden die Dokumentation ab. Und auch wenn man sich bisweilen etwas mehr Substanz gewünscht hätte, bleibt „Gegenschuss – Aufbruch der Filmemacher“ doch ein überaus sehenswerter Film, der eine der wichtigsten Phasen des deutschen Kinos zurück ins Bewusstsein der Öffentlichkeit ruft.

Michael Meyns

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Mitte der sechziger Jahre war „Opas Kino tot“. Doch es entstand natürlicherweise auch neues Filmleben. In München tummelten sich eine ganze Reihe junger Talente, Theaterleute, Schriftsteller, Filmbegeisterte: Rainer Werner Faßbinder, Peter Handke, Hans Noever, Alexander Kluge, Werner Herzog, Peter Lilienthal, Wim Wenders, Thomas Schamoni, Hark Bohm, Uwe Brandner, Veith von Fürstenberg, Michael Fengler, Hans W. Geißendörfer und andere mehr. Eine besondere Rolle spielte der leider viel zu früh verstorbene Laurens Straub.

Die angehenden Künstler wollten sich von der alten Garde, den Filmproduzenten vor allem, absondern, nicht zuletzt weil sie sich ausgenützt sahen, von dem von ihnen Erbrachten keinen Profit sahen.

Der Epoche machende Filmverlag der Autoren wurde gegründet. Der Genossenschaftsgedanke herrschte vor. Jedes Mitglied musste sich mit einer Einlage beteiligen. Hälftig sollte jeder Erlös der Organisation zugute kommen, hälftig demjenigen, der das betreffende Produkt erstellt hatte. Viele neue Ideen, Schwung, Mut, Hoffnung und Unternehmensgeist kamen ins Spiel.

Man produzierte Filme und vertrieb sie selbst. Laurens Straub war wie angedeutet so etwas wie ein Organisator, Vertriebschef, Theoretiker des Ganzen und „Alleinherrscher“.

Rund zehn Jahre lang funktionierte es. Dann kam auf, was Neid und „Verrat“ genannt wurde. Manche waren nicht mehr bereit, ihren Erlös mit denen zu teilen, die zwar produzierten, aber keinen Gewinn zustande brachten. Schulden wurden angehäuft.

Rudolf Augstein sprang mit Kapital ein. Spätestens jetzt war die alte Genossenschaftsstruktur – und bis zu einem gewissen Grade der Filmverlag selbst – tot.

Ein höchst interessantes filmhistorisches Dokument. Rückschauende Erzählungen der damaligen Protagonisten wechseln ab mit Filmausschnitten von „Angst essen Seele auf“, „Lebenszeichen“, „Liebe ist kälter als der Tod“, „Ein großer grau-blauer Vogel“, „Die Artisten in der Zirkuskuppel: ratlos“, „Warum läuft Herr R. Amok?“, „Ich liebe Dich, ich töte Dich“, „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“, „Aguirre, der Zorn Gottes“, „Jeder für sich und Gott gegen alle“, „Im Lauf der Zeit“, „Nordsee ist Mordsee“ und viele andere.

Filmgeschichtliches, Persönliches, Analytisches, Klatsch- und Tratschhaftes, Lustiges, Negatives wird hier en masse vorgebracht. Die Montage hätte man sich ein wenig geschickter, eingängiger, im Ablauf logischer, weniger abgehackt gewünscht. Aber sonst – für Interessierte eine Fundgrube.

Thomas Engel