Harlan

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Nach Leni Riefenstahl ist Veit Harlan der bekannteste Filmregisseur des Nationalsozialismus gewesen – berüchtigt für den antisemitischen Propagandafilm „Jud Süß“ und berühmt in ganz Europa für seine schwermütigen, todessehnsüchtigen Melodramen wie „Die goldene Stadt“ oder „Opfergang“. In seinem Dokumentarfilm befragt Felix Moeller die ausgedehnte Familie des Regisseurs, die vom sozialistischen Dokumentarfilmer Thomas Harlan über die Schauspielerin Maria Körber bis hin zu Christiane Kubrick reicht, zu ihrem Umgang mit der Vergangenheit. Dabei entsteht ein faszinierendes Kaleidoskop deutscher Nachgeborenen-Befindlichkeit.

Webseite: www.salzgeber.de

Deutschland 2008
Regie und Buch: Felix Moeller
Kamera: Ludolph Weyer
Schnitt : Anette Fleming
Mit : Caspar, Kristian und Thomas Harlan, Maria Körber, Lena, Lotte und Nele Harlan, Jessica Jacoby u.a.
Länge: 100 Minuten
Verleih: Edition Salzgeber
Startermin: 23.4.2009

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

In seiner Dokumentation über Veit Harlan und sein Erbe gelingt Felix Moeller das Kunststück, alle unmittelbaren Nachkommen des berühmt-berüchtigten Regisseurs von „Jud Süß“ vor die Kamera zu bekommen. Erstaunlich unbefangen, manchmal geradezu naiv, beantworten die Söhne, Töchter, Nichten, Neffen und Enkelkinder Harlans Moellers Fragen. Immer wieder laufen die Gespräche darauf hinaus, wie die einzelnen Familienmitglieder die Schuld ihres Vaters, Onkels und Großvaters bewerten und was dies für Ihr eigenes Leben bedeutet.  Wie stehen sie selbst zu dem Film „Jud Süß“, wie bewerten Sie den Zwang zur Kooperation auf den sich Harlan nach dem Krieg berufen hat, und haben sie schon einmal darüber nachgedacht, ihren Namen zu ändern?

Moeller geht es dabei nicht darum, die Frage nach der Schuld Harlans neu aufzulegen. Dass der Regisseur Veit Harlan um der Karriere willen freiwillig zum Mittäter der Mordmaschine wurde, wird zwar nie explizit gesagt, es vermittelt sich aber deutlich über Moellers historische Einschübe, die die Interviews ergänzen. Zahlreiche Ausschnitte aus Harlans Filmen vermitteln einen Eindruck der todessehnsüchtigen Melodramen, die sich so wunderbar mit der Naziideologie deckten. Man erfährt, dass Harlan für  „Jud Süß“ Statisten aus den Ghettos in Prag und Lublin rekrutierte und seine eigene Frau, die „Reichswasserleiche“ Kristina Söderbaum, in der weiblichen Hauptrolle castete. Später im Film jammert Söderbaum in Archivaufnahmen: „’Jud Süß’ hat unser Leben zerstört.“ – eine Szene die  Moeller pointiert mit Bildern aus dem mondänen Nachkriegsleben der Harlans gegenschneidet.

Wenn Moeller nach Harlans Schuld fragt, dann um einen Einblick in den Umgang der Familie mit dieser Schuld zu bekommen. Aus ihren extrem unterschiedlichen Positionen entsteht ein Bild von den Empfindlichkeiten und Verarbeitungsstrategien der zweiten und dritten Generation, das von vehementer Auseinandersetzung bis hin zu totaler Abwehr reicht.
Die radikalsten Positionen nehmen dabei die beiden ältesten Söhne ein: Thomas Harlans Werk als Filmemacher (u.a. „Wundkanal“) und Schriftsteller lässt sich als Versuch verstehen, für und anstelle seines Vaters Schuld anzunehmen und Versöhnungsarbeit zu leisten. Kristian dagegen hat sich weder öffentlich noch privat je mit seinem Vater über dessen Nazi-Vergangenheit auseinander gesetzt. Der Riss geht quer durch die ganze Familie und wird vielleicht am schmerzhaftesten von Harlans Enkelin Jessica Jacoby empfunden, deren anderer Großvater, Arthur Jacoby, als Jude von den Nazis ermordet wurde.

„Harlan – Im Schatten von Jud Süß“ bietet einen spannenden Einblick in eine deutsche Familie, fördert interessante Geschichten zutage (zum Beispiel, dass Stanley Kubrick einen Film über den Arbeitsalltags eines Nazi-Regisseurs plante) und holt die Erinnerung an die Verbrechen des „Dritten Reiches“ in die Gegenwart zurück. Die Fragen, die sich stellen, stellen sich im Jetzt: Was wäre denn ein ‚richtiger’ Umgang mit der Vergangenheit? Wie gehe ich, meine Familie, die bundesrepublikanische Gesellschaft mit dem Erbe des Nationalsozialismus um? Wie geht es den Tätern und ihren Familien, wie den Opfern? Und ist es gerechtfertigt den Tätern, wieder einmal, soviel Aufmerksamkeit zu schenken?

Hendrike Bake

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