Human Capital

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Vor dem Hintergrund der Finanzkrise Italiens verknüpft Regisseur Paolo Virzì die Schicksale zweier Familien zu einer unheilvollen Geschichte über Gier und Egoismus. „Human Capital“ überzeugt vornehmlich mit einer geschickt strukturierten, episodischen Erzählung, die das volle Ausmaß des Dramas erst in letzter Sekunde offenbart.

Webseite: www.movienetfilm.de

Italien/2013
Regie: Paolo Virzì
Drehbuch: Paolo Virzì
Darsteller: Fabrizio Bentivoglio, Matilde Gioli, Valeria Bruni Tedeschi, Guglielmo Pinelli, Fabrizio Gifuni, Valeria Golino
Filmlänge: 110 Minuten
Verleih: Movienet
Kinostart: 8. Januar 2015

Preise/Auszeichnungen:

Ausgezeichnet mit dem DAVID DI DONATELLO beim italienischen Filmpreis als bester Film. Der Film gewann in sechs weiteren Kategorien, u.a beste Darstellerin und beste Nebendarsteller.

FILMKRITIK:

Wie derzeit viele italienische Filme verbreitet auch Paolo Virzìs „Human Capital“ Krisenstimmung. In einer Zeit der Not gehen die Menschen für ihre Profitgier über Leichen, denn was ist schon ein Menschenleben gegenüber Luxus und finanzieller Sorglosigkeit?  

So ähnlich sieht es auch Dino (Fabrizio Bentivoglio), der sich unüberlegt in einen vermeintlich rentablen Fond einkauft und damit das gesamte Familienvermögen verspielt. Seine Ehefrau (Valeria Golino) ist mit Zwillingen schwanger, und als wäre die Lage noch nicht verzwickt genug, wird auch noch seine jugendliche Tochter Serena (Matilde Gioli) verdächtigt, den Tod eines Fahrradfahrers durch einen Autounfall verschuldet zu haben. Serena bildet das Bindeglied, mit dem Paolo Virzì die Schicksale zweier Familien unterschiedlicher Schichtzugehörigkeit miteinander verknüpft, denn Giovanni (Fabrizio Gifuni), der wohlhabende Vater von Serenas Jugendliebe Massimiliano (Guglielmo Pinelli), ist eben jener Geschäftsmann, in dessen Fond Dino sein Vermögen investiert hat.  

Paolo Virzì erzählt diese Geschichte in drei Kapiteln, die jeweils aus der Sicht einer der Hauptfiguren dieselbe Zeitspanne zwischen Kennenlernen der Väter und dem schicksalshaften Autounfall beleuchten. In einem Epilog fließen schließlich die drei Einzelschicksale zu einem dramatischen Finale zusammen. Die Dramaturgie des Films spielt mit den Lücken des subjektiven Erlebens. Jedes Kapitel füllt Leerstellen und beantwortet Fragen des vorhergehenden Teils. So setzt sich die Unfallnacht mit ihren Vor- und Nachwehen für den Zuschauer Stück für Stück wie ein Mosaik zusammen. Dabei geht es Paolo Virzì jedoch weniger um nervenaufreibende Thrillerspannung, als um drei sehr unterschiedliche und doch unmittelbar miteinander verknüpfte Lebensdramen. Dino sehnt sich danach, dem Mittelstand zu entsteigen und erreicht genau das Gegenteil. Giovannis Frau Carla kämpft mit den Luxusproblemen einer reichen Ehefrau und füllt die gähnende Leeres ihres High Society Lebens mit der Restauration eines baufälligen Theaters, und Serena quält sich mit klassischen Selbstfindungsproblemen der Pubertät.

Die episodische Struktur und der Perspektivwechsel erzeugen durch das Aufwerfen immer neuer Fragen beim Zuschauer große Sehnsucht nach dem Gesamtbild. Doch der Fokus auf einzelne Figuren hat mit Sympathieproblemen zu kämpfen. So ist Dinos Naivität, mit der er Giovannis Reichtum nacheifert, nicht nur schwer zu glauben, sondern schlicht unsympathisch. Carla wiederum legt eine übertriebene Unsicherheit an den Tag, die es erschwert, mit ihrer Figur mitzufühlen. Insgesamt kommen die Männer in dieser Geschichte äußerst schlecht weg, stehen für Besitzstreben und Rücksichtslosigkeit. Insbesondere Giovanni wird dabei wenig Tiefe zugestanden und auch Dinos Motivation für die überstürzte Investition bleibt rätselhaft. So sind es weniger die Charaktere und ihre persönliche Geschichte, die den Reiz des Films ausmachen, als vor allem die geschickte Plotstruktur. Das reicht leider nicht ganz, um den Zuschauer souverän durch den Film zu leiten. Dem gegenüber steht das spürbare italienische Temperament der Inszenierung, das sich in den übertrieben ausagierten Emotionen der Figuren ebenso ausdrückt wie in den zuweilen hektischen Schnitten.

Paolo Virzìs Film ist ein deprimierendes Drama über menschliche Amoral und fehlende Solidarität. Doch es fällt schwer, sich die Schicksale der einzelnen Charaktere zu Eigen zu machen, zu komplex ist das Netz aus Beziehungen. Erst mit der finalen und stark moralisierenden Titelsequenz geht „Human Capital“ so richtig unter die Haut.
 
Sophie Charlotte Rieger