Italiener, Der

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Als Nanni Moretti seinerzeit ankündigte, einen Film über den italienischen Ministerpräsidenten und Medienmogul Silvio Berlusconi drehen zu wollen, glaubten viele, der politisch engagierte Filmemacher würde diesen zu einer einzigen bitterbösen Abrechnung nutzen. Entgegen dieser Erwartungen beleuchtet das im vergangenen Jahr in Cannes uraufgeführte Werk nur peripher die Person Berlusconis. Der Italiener ist vor allem eine intime Familiengeschichte und eine Hommage an das Kino.

Webseite: www.alamodefilm.de

OT: Il Caimano
Italien/Frankreich 2006
Regie: Nanni Moretti
Drehbuch: Nanni Moretti, Francesco Piccolo, Federica Pontremoli
Mit Silvio Orlando, Jasmine Trinca, Margherita Buy, Michele Placido, Nanni Moretti
Verleih: Alamode
Kinostart: 12.7.2007

PRESSESTIMMEN:

Nanni Moretti schuf einen heiter-melancholischen Film, der sich im Gewand einer Liebes- und Familienkomödie durch den "Film im Film" raffiniert mit dem "Phänomen Berlusconi" befasst und satirisch Kritik am politischen Einfluss geballter Medienmacht übt. Durch die Reibung zwischen den Wirklichkeitsebenen wird der Zuschauer zum Nachdenken und Hinterfragen angeregt. - Sehenswert.
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FILMKRITIK:

Er hat auch bereits bessere Zeiten erlebt. Bruno Bonomo (Silvio Orlando), mit Leib und Seele Filmproduzent, steht vor einem Scherbenhaufen. Die Misserfolge der letzten Jahre haben seine Firma und ihn ruiniert. Viel schlimmer noch: Er wird öffentlich für seine Flops vorgeführt. Sein neues Projekt „Die Rückkehr des Christopher Kolumbus“ droht an den fehlenden finanziellen Mitteln zu scheitern. Niemand scheint gewillt, Bruno weiteres Geld hinterher zu werfen. Zu der beruflichen Talfahrt kommen private Probleme. Eigentlich haben sich er und seine Frau Paola (Margherita Buy) längst getrennt. Nur um gegenüber ihren Kindern die Illusion einer intakten Familie aufrecht zu erhalten, spielen sie weiterhin die Rolle eines glücklichen Ehepaares. Wenn Bruno abends die Wohnung verlässt, um in der Firma zu übernachten, erzählt er ihnen, dass er zu Dreharbeiten müsse.  
In dieser misslichen Situation fällt ihm das Drehbuch einer jungen Autorin in die Hände. Teresa (Jasmine Trinca) sucht nach einem Regisseur und Produzenten, der ihren politisch brisanten Stoff „Il Caimano“ (zu Deutsch: Der Kaiman) verfilmen will. Schnell wird deutlich, dass ihre Geschichte über einen korrupten Politiker und Medienmogul auf den amtierenden Ministerpräsident Silvio Berlusconi abzielt. Wenig begeistert zeigen sich die Verantwortlichen beim TV-Sender RAI, und so bleibt Bruno nur die Möglichkeit, selbst einen Finanzier für „Il Camino“ aufzutreiben.

Nanni Morettis Generalabrechnung mit der schillernden Figur und dem System Silvio Berlusconi verläuft über Umwegen. Als Film im Film thematisiert Der Italiener dessen Regierungszeit, wobei gleich vier Darsteller – darunter der „echte“ Berlusconi, der in Archivaufnahmen zu sehen ist, Michele Placido und Nanni Moretti selber – in die Rolle des streitbaren und machtbesessenen Medienzaren schlüpfen. Die Passagen mit Berlusconi werden zunächst eher en passant präsentiert. Morettis Hauptfokus liegt dafür über weite Strecken auf dem strauchelnden Bruno, in dem der Filmemacher sein Alter Ego gefunden zu haben scheint. Erst im Finale fließen die verschiedenen Ebenen ineinander, kommt es zu der erwarteten mit Verve und Wut vorgetragenen Anklage. Ausgerechnet Morettis Berlusconi, der rein äußerlich überhaupt keine Ähnlichkeit mit dem Original besitzt, hält in einem vor arroganter Selbstgerechtigkeit triefenden Monolog dem Regierungschef einen Spiegel vor.

Während der geschickte Demagoge seinen Ruf bis zuletzt verteidigt, durchlebt der leidenschaftliche Cineast Bruno ein Wechselbad der Gefühle. Von Silvio Orlando gerade in den dramatischen Momenten mit viel Fingerspitzengefühl gespielt, nutzt Moretti seinen Protagonisten auch zu einer Reise zurück in die Vergangenheit, als das Kino der Cinecittà dank Namen wie Fellini und Visconti noch Weltgeltung besaß. Die eher drittklassigen, offenbar leicht trashigen Werke („Die Killermokassins“) des fiktiven Filmproduzenten Bonomo evozieren Erinnerungen an genuin italienische Genres wie den Giallo.

Der Italiener funktioniert aber ebenso als tragikomische Chronik einer im Auseinanderbrechen befindlichen Familie. Bruno müht sich redlich, die Risse zu kitten. Doch eine Szene, die ihn und seine Frau beim Spiel mit den Kindern zeigt, reicht aus, um sein Scheitern zu dokumentieren. Morreti wäre aber nicht Moretti würde auf die berufliche wie private Dekonstruktion nicht einen hoffnungsvollen Neuanfang folgen lassen. Da wird plötzlich sogar der Moment der Trennung zu einer heilsamen Erfahrung. Unterlegt von Damien Rices melancholischer Ballade „The Blower’s Daughter“ bricht Bruno mit wieder gewonnener Zuversicht in ein neues Leben auf.

Marcus Wessel

 
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Der Film war 2006 für den Cannes-Wettbewerb nominiert und ist bei uns etwas spät dran. Er hat aber politisch-moralische Qualitäten, die ihm eigentlich ein ständiges Interesse sichern sollten.

Es geht um die ausgeprägte politische Zweiteilung Italiens, wie sie schon seit langem besteht. Da ist auf der einen Seite die Linke (Kommunisten/Sozialisten), auf der anderen die Rechte (Rechtsliberale/Faschisten). Dreh- und Angelpunkt ist der umstrittenste Rechte des Landes: Silvio Berlusconi, der Herrscher über drei Fernsehgruppen, der Politiker, der zeitweilige Regierungschef, der Wahlgewinner, der Wahlverlierer. Und viele sagen auch, er sei der Korruption, der Komplizenschaft mit der Mafia sowie der Beleidigung des Justiz- und Verfassungssystems schuldig.

Der Autor, Regisseur und Darsteller Nanni Moretti ist ein fanatischer Gegner Berlusconis. Nicht zuletzt unter seinem Einfluss und dem seiner Sender, so Moretti, habe Italien einen Werteverfall hingenommen und erlebt, dessen Wiedergutmachung lange, lange Zeit in Anspruch nehmen wird.

Bewerkstelligt hat Moretti seine Botschaft mit der Geschichte des Filmproduzenten Bonomo, der früher Streifen wie „Maciste gegen Freud“ oder „Die Polizistin mit den Stöckelschuhen“ drehte, jetzt aber vor der Pleite steht. Auch seine Familie geht in die Brüche. Durch ständig neue Rückschläge am Boden zerstört, rafft er sich dennoch wieder auf, das Projekt der jungen Drehbuchschreiberin Teresa in Angriff zu nehmen. Titel: Il Caimano (von den Journalisten erfundener Spitzname Berlusconis).

Auch jetzt hören die Schwierigkeiten nicht auf. Darsteller haben wegen des Themas Bedenken und sagen ab. Geld fehlt. Zwischen Bonomo und Teresa kommt es zu thematischen Differenzen. Doch noch wichtiger scheint allen ein Urteil über Berlusconi.

Inhaltlich mehrschichtig, zum Teil vom Hauptdarsteller Sylvio Orlando hektisch gespielt, mit einer Unmenge von Szenen ausgestattet, die geschäftlichen Niedergänge, die zerbrochene Ehe, das angeschlagene Verhältnis zu den Kindern und die problematischen Beziehungen zu den Freunden und Mitarbeitern einschließend, präsentiert Moretti den Kern seines Films: die Kritik an Berlusconi und die Klage über gewisse Zustände in seinem Land. Es ist im Grunde ein moralischer Traktat, der universell gilt und nicht nur für Italien.

Leicht zu entwirren ist das nicht. Die Figur Berlusconi allein ist außer durch sich selbst (in Dokumentarszenen) noch mit drei anderen Darstellern besetzt. Juristisch balanciert der Film ständig zwischen Erlaubtem und Einklagbarem. Immer wieder fließen Morettis und Teresas Film ineinander. Aber politisch-ethisch beeindruckt das Ganze dann doch durch seinen Mut und seinen moralischen Gehalt.

Thomas Engel