Jaffa – The Orange’s Clockwork

Zum Vergrößern klicken

Jahrzehnte lang haben die Uhren für Araber und Juden in der palästinensischen Hafenstadt Jaffa im gleichen Takt getickt. Bis Anfang des 20. Jahrhunderts galt der heutige Stadtteil von Tel Aviv als Zentrum des Orangen-Exports. Wie die Jaffa-Orange zum zionistischen Symbol und Synonym für die Orange selbst wurde, sich andererseits aber auch die Vorzeichen im Zusammenleben von Israelis und Palästinensern änderten, das hat der Dokumentarfilmer Eyal Sivan für seine interessante und ausgewogene essayistische wie auch politische Spurensuche recherchiert.

Webseite: www.mecfilm.de

Israel/Deutschland/Frankreich/Belgien 2009
Regie: Eyal Sivan
Dokumentarfilm (nur digitale Projektion)
88 Minuten
Verleih: mec film – middle eastern cinemas
Start am 14.10.2010
 

PRESSESTIMMEN:

...

FILMKRITIK:

Wenn die ersten Bilder dieser mit zahlreichen alten Fotos, Filmen, Werbe- und Propagandaplakaten angefüllten Dokumentation über die Leinwand laufen, kommen einem sofort auch Bilder aus Eran Riklis 2007 entstandenem Spielfilm „Lemon Tree“ mit Hiam Abbas in den Sinn. In ihm wurde ein Zitronenhain an der Grenze zwischen Israel und Westbank vom israelischen Verteidigungsministerium zum nationalen Sicherheitsrisiko erklärt, die Rettung der Bäume in der Folge vor dem Obersten Verfassungsgericht eingeklagt. Frühe Luftaufnahmen von Jaffa zeigen, wie dort, wo heute teilweise Wüste und Einöde bestehen, früher das satte Grün unzähliger Zitrusbäume das Landschaftsbild bestimmte. Jaffa galt als Zentrum des Handels mit Orangen, Arbeiter aus dem gesamten mittleren Osten halfen mit, die Früchte zu pflücken, sie in Papier zu wickeln, in Kisten zu verfrachten und zu verschiffen. Konflikte zwischen Arabern und Juden gab es nicht.

Über das, was sich dann ab 1948 ereignet hat, möchte ein betagter arabischer Pflücker am liebsten nicht sprechen, geschweige denn sich daran erinnern. Mit der Rückkehr der einst freiwillig ausgewanderten Zionisten in ihr gelobtes Land nimmt die Geschichte für die Palästinenser einen anderen Lauf. Die Orangenproduktion wird dabei zum Köder für die Ansiedlung jüdischer Einwanderer. Mittels propagandistischer sozialistischer Werbefilme wurde den Siedlern von der zionistischen Bewegung die Handarbeit in der Landwirtschaft schmackhaft gemacht, dafür geworben, diese dem Handel und akademischen Berufen vorzuziehen und statt der erfahrenen arabischen nunmehr nur noch jüdische Arbeiter zu beschäftigen. Mit der Gründung des Staates Israel mussten 85.000 Araber aus Jaffa fliehen, nur 3000 blieben. Die Orangenhaine wurden israelisches Staatseigentum, die ursprünglich palästinensische Orange zum Symbol für die wirtschaftliche Stärke Israels.

Mittels dieser direkt an den Ort des Gesprächs eingeblendeter Fotos und Filmausschnitte, Werbeplakate, politischer Poster sowie Beispielen von die vitaminreiche Frucht ins Bild rückender Malerei gibt Eyal Sivan („Aus Liebe zum Volk“) seinen Interviewpartnern jeweils das Stichwort für die Auseinandersetzung mit der Geschichte Jaffas als Spielball politischer wie wirtschaftlicher Interessen. Anhand dieses einzigartigen Archivmaterials erinnern, reflektieren und analysieren die israelischen und palästinensischen Intellektuellen und Mitarbeiter der Zitrusindustrie ihre eigene Geschichte und die ihres Landes. „Das Bild war der Ausgangspunkt. Die Idee sowohl den Protagonisten als auch dem Publikum Bilder zu zeigen steht in direktem Zusammenhang mit dem Thema des Films, nämlich der Vermutung, dass der Orient, Palästina, das Heilige Land, Israel, wie immer man es nennt, zu aller erst eine westliche ideologische Projektion ist“, merkt Eyal Sinan an.

Auf einer zweiten Ebene hat der in Haifa geborene Dokumentarist damit auch einen Film über die Mechanismen und die Manipulation von Bildern gemacht. Wer diesen Filmessay sieht, wird beim Anblick oder Kauf von Jaffa-Orangen nicht mehr nur an die erfolgreiche Vermarktung der „Coca-Cola unter den Früchten aus dem gelobten Land“ denken, sondern auch an ihre Ursprünge erinnert. Eine Rückkehr zu diesen Anfängen wird sicherlich noch lange ein Wunschtraum für die arabische Seite bleiben. Wie sagt es ein Historiker im Film so treffend: „Die Orangen als ein Produkt aus dem Orient anzuerkennen und gemeinsam weiter zu bewirtschaften hieße auch, das Recht der Palästinenser auf das von ihnen urbar gemachte Land anzuerkennen.“ Ein nationalistischer israelischer Dichter bezeichnet diese Erinnerung als ein „Ticket für die Zukunft“, als Anlass, Geschichte neu zu artikulieren, um nach einer Zeit kolonialer Begehrlichkeiten, der Auslöschung von Gemeinsamkeiten, der Nationalisierung und der Zurückweisung alles Palästinensischen wieder zurückzukehren zu einem gemeinsamen jüdisch-arabischen Leben. Ein Symbol für diese Marke der Hoffnung wäre mit der Jaffa-Orange ja bereits gefunden.

Thomas Volkmann