juengste Gewitter, Das

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Das Leben mag mitunter langweilig, trivial, deprimierend und absurd sein. Ebenso wie es Momente großer Freude, überschwänglichen Glücks und emphatischer Liebe beinhaltet, lässt es uns zweifeln und nicht selten einfach ratlos zurück. Nach „Songs from the Second Floor“ beschäftigte sich der schwedische Filmemacher Roy Andersson in seiner dieses Jahr in Cannes uraufgeführten schwarzen Komödie „Das jüngste Gewitter“ einmal mehr mit den Höhen und Tiefen der menschlichen Existenz. Darin treffen Momente schmerzhafter Melancholie auf Szenen voller Lakonie und skurriler Leichtigkeit.

Webseite: www.neuevisionen.de

OT: Du Levande
Schweden 2007
Regie & Drehbuch: Roy Andersson
Produktion: Philippe Bober, Pernilla Sandström
Mit Håkan Angser, Björn Englund, Erick Bäckman, Elisabeth Helander, Gunnar Ivarsson, Lennart Eriksson, Patrik Anders Edgren
Laufzeit 94 Minuten
Verleih: Neue Visionen
Kinostart: 28.2.2008

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Eine Frau beklagt sich über ihre Situation, über ihr Leben und darüber, dass sie sich kein Motorrad leisten kann. Am liebsten würde sie alles einfach hinter sich lassen. Doch dazu fehlt ihr das nötige Kleingeld und – viel wichtiger – der Mut. So unvermittelt die Szene begann, so unvermittelt endet sie. Ein Umschnitt und schon beobachten wir einen Mann beim Tuba spielen und einen Zweiten, der mit dieser Art von Musik nicht unbedingt viel anfangen kann. Im weiteren Verlauf führt Filmemacher Roy Andersson ein immer größeres Figurenarsenal ein. Einige Charaktere treten mehrmals auf, andere wiederum verschwinden nach bereits einer Szene ohne dass klar wird, welche Systematik Andersson dabei befolgt.
 

Da gibt es zum Beispiel die junge Frau, die einen Rockmusiker anhimmelt und sich mit ihm in ihrer Fantasie eine Traumhochzeit in Weiß ausmalt. Oder den Handwerker, der an einem Tischtuchtrick scheitert und ein 200 Jahre altes Essgeschirr zertrümmert, wofür ihn ein Gericht zum Tode auf dem elektrischen Stuhl verurteilt. Oder einen arroganten Geschäftsmann, dem entgeht, dass er in aller Öffentlichkeit beklaut wird. Insgesamt über 50 solcher Episoden reiht Andersson aneinander, wobei die einzelnen Übergänge mal mehr, mal weniger elegant ausfallen und sich ein roter Faden nicht immer auf Anhieb erkennen lässt.

Gemein ist allen Fragmenten ihre strenge Bildkomposition. Nahezu jede Einstellung wurde von Andersson mit einer statischen Kamera und ohne Zwischenschnitt abgedreht. Dadurch besitzt „Das jüngste Gewitter“ über weite Strecken mehr Ähnlichkeit mit einem Stillleben, als dass es einem herkömmlichen Film gleichen würde. Hinzu kommt, dass sich die Darsteller im Schneckentempo zu bewegen scheinen – wenn sie sich denn überhaupt bewegen –, was nur den Eindruck verstärkt, hier sei die ursprüngliche Handlung kurzerhand eingefroren und auf Zelluloid konserviert worden. Andersson hat aus seiner lakonischen Betrachtung der menschlichen Natur konsequent jede überflüssige Aktion, jedes überflüssige Wort und sogar jeden auffälligen Farbton verbannt. Passend zur oftmals melancholischen Stimmung reduziert sich die Farbgebung auf eine Reihe von deprimierenden Grau- und Brauntönen.

Inmitten dieser optischen Tristesse gedeiht ein alberner, schwarzer, manchmal auch mehr als absurder Humor. Kein Einfall scheint zu abwegig, als dass Andersson nicht wüsste, ihn auf irgendeine Weise in sein existenzialistisches Mosaik einzubauen. Pointen wie die skurrile Gerichtsverhandlung samt Bierausschank oder die Momentaufnahme aus dem Alltag eines Fensterputzers entstammen einem typisch nordischen Humorverständnis, das schon Filmemacher wie Aki Kaurismäki und Bent Hamer (Kitchen Stories) für ihre lakonischen Geschichten nutzten. Neben aller Komik blickt Andersson aber auch mit großem Ernst auf sein Ensemble. Dabei deckt er Hoffnungen und Sehnsüchte auf, die ungelebt und unausgesprochen bis zuletzt auf ihre Erfüllung warten.

Marcus Wessel

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In Studioaufnahmen, in etwa 50 eher statischen Einstellungen und Tableaux, in einem absichtlich räumlich begrenzten, aber intensiven Stilempfinden, in teils sarkastischer, teils burlesker, teils philosophischer Weise beobachtet der schwedische Autor und Regisseur Roy Andersson Menschen: ihr eigenwilliges und eigenartiges Verhalten, ihr mehr oder minder geglücktes Zusammenleben, ihren absonderlichen Zeitvertreib, ihre Marotten. Ebenso ihre Freuden und Depressionen, ihr Hochgefühl und ihre Gleichgültigkeit, ihre Zärtlichkeit und ihren Egoismus.

Ob bei dem alten Mann, der seinen Hund am Boden durch die Straße schleift; ob bei dem Paukenschläger, der ungerührt von der Nervosität seiner Frau weitertrommelt; ob bei der Trinkerin, die das von ihrer „Sadistin“ genannten Mutter servierte nicht-alkoholische Bier für eine Quälerei hält; ob bei dem Mann mit dem komischen missglückten Tischtuchtrick, der – im Traum – wegen Fahrlässigkeit auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet wird; ob bei den beim „jüngsten Gewitter“ im Haltestellenhäuschen Eingesperrten; ob beim Aneinander-Vorbeireden über das Rückwärtsschreiben und das Rückwärtsfahren beim Friseur, das mit einer Totalschur endet; ob beim fachlichen Finanzgespräch während des Koitus; ob bei der Versammlung der „Oberschicht“, die auf schwedisch „Oh alte Burschenherrlichkeit“ schmettert; ob beim Taschendieb, der sich nach vollbrachter Tat einen Anzug schneidern lässt; ob beim Klagegesang eines Psychiaters; ob bei der Geschäftskonferenz mit anschließendem Begräbnis und Gesang; ob bei dem Groupie, das sich einen Musiker angelt, der mit der Frau nichts anfangen kann.

Absurd, aber auch realistisch, unterkühlt-trocken, pathetisch, aber auch grausam-gemein, komisch und in vielem echt rollt das ab. Ein Panoptikum des Menschseins und Lebens, eine Farce und ein wohl universal zu beobachtender  „Tatsachenbericht“, der tief blicken lässt. Das dem Film beigegebene Motto: „Freue dich also, Lebendger, der lieberwärmten Stätte, ehe den fliehenden Fuß schauerlich Lethe dir netzt.“ (Goethe)

Thomas Engel