Kunst des negativen Denkens, Die

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Egal in welcher Lebenslage man steckt: mit positiven Gedanken lässt sich auch das übelste Missgeschick ins Gute wenden. Der norwegische Regisseur Brad Breien sieht das anders. In „Die Kunst des negativen Dankens“, eine Produktion des "Elling"-Machers Dag Alveberg, unternimmt er einen schwarzhumorigen Angriff auf jedwede Lebensbeschönigung. Anführer ist ein Mann im Rollstuhl, der Psychophrasen mit Sarkasmus begegnet. Mitleid hat man hier noch am ehesten mit jenen, die Anfangs ihre Hilfe anbieten.

Webseite: koolfilm.de

OT: Kunsten a Tenke Negativt
Norwegen 2007
Regie: Brad Breien
Darsteller: Fridjov Saheim, Kjersti Holmen, Marian Ottesen, Henrik Mestad, Kirsti Eline Torhaug, Per Schaarning, Kari Simonsen
79 Minuten
Verleih: KOOL Filmdistribution
Kinostart: 18.9.08
Auszeichnungen:
Nordische Filmtage 2007: Bester Film (NDR-Filmpreis)
Karlory Vary 2007: Beste Regie
Turin 2007: Bestes Buch

PRESSESTIMMEN:

...auf film-zeit.de


FILMKRITIK:

Der Streifenpolizist schaut verdutzt, als Psychotherapeutin Tori ihm bei der Kontrolle nach einer auffällig kurvenreichen Autofahrt fröhlich lächelnd erklärt, das mit dem Strafzettel sei gar nicht schlimm, den zahle ja ohnehin die Gemeindekasse. Ihre zur Therapiegruppe gehörenden Mitreisenden lachen zustimmend. Was ist schließlich schon ein Knöllchen gegen das Schicksal, mit einer Behinderung, einer Depression oder sonst einem persönlichen seelischen oder geistigen Handicap leben zu müssen. Tori hat ihre Gruppe gut getrimmt: mit positiven Gedanken lenken sie sich von ihren Problemen, Sorgen und Ängsten ab. Klappt das einmal nicht, ist das gehäkelte Kotzbeutelchen zur symbolischen Entsorgung des negativen Gedankenguts zur Stelle. 

Würde der norwegische, von „Elling“-Produzent Dag Alveberg produzierte Film auf dieser Schiene weitermachen und seine Protagonisten in die Welt der „normalen“, gewissermaßen sorgenfreien Menschen entlassen, allein dies hätte bereits eine amüsante Komödie abgegeben. Autor Brad Breien aber geht in seiner zweiten Regiearbeit auf direkten Konfrontationskurs innerhalb der Gruppe selbst. Ausgelöst wird der Umschwung durch den Besuch der Gruppe bei einem potenziellen neuen Mitgliedspaar. Der nach einem Umfall an den Rollstuhl gefesselte Geirr (Fridjov Saheim) aber will von diesem Gruppenquatsch nichts wissen. Er ist in seiner zurückgezogenen neuen Welt mit Weltuntergangsfilmen (in seinem Zimmer hängt ein Plakat von „Deer Hunter“, er selbst schaut gerade „Apocalypse Now: Redux“) zufrieden, raucht dicke Joints und hört am liebsten Johnny Cash. 

Mit seinem anarchistischen und störrischen Auftreten bricht Geirr den Zusammenhalt der Gästeschar auf. Seine Philosophie: ohne die Kunst des negativen Denkens wird man seine Probleme nie gelöst bekommen. Der Treppenlift für seinen Rollstuhl in seinem kleinen Häuschen, in dem gut zwei Drittel der Handlung spielen, steht immer wieder für die Aufs und Abs der schwankenden Gemütszustände und die unterschiedlichen Blickwinkel auf die von Problemen behafteten Leben der Protagonisten. Thematisiert werden auch die Rollen der gesunden und scheinkranken Partner, deren Leben sich aber durch den Einschnitt im Leben des Mannes oder der Freundin ebenfalls entscheidend gewendet hat. Es geht dabei um Zusammenhalt und Treue, um Frust und Schuldbekenntnis bis hin zum Umgang von Sexualität und Einsamkeit. 

Ernste Themen also, die hier verhandelt werden. Die Kunst dieser Komödie besteht nun aber genau darin, all dies nicht zu verschweigen, sondern durch die Bissigkeit und rückhaltlose Konfrontation offen auszusprechen. Das Mittel dazu sind schwarzer Humor und Sarkasmus, die Erkenntnis am Ende jene, dass Schicksale im Zweifelsfall immer relativ zu betrachten sind. Auch wenn einem das Lachen in dieser kleinen Produktion manchmal im Hals stecken bleiben kann: hier mit den Behinderten und vom Leben gezeichneten Menschen mitzulachen, hat befreiende Wirkung. Das erkennt am Ende auch die Therapeutin Tori, als sie feststellt, dass ab und zu das Menschliche wichtiger sei als auf Prinzipien zu bestehen.
Thomas Volkmann

Marte ist beim Klettern abgestürzt und seitdem völlig behindert. Nicht besser geht es Asbjorn, der einen schweren Schlaganfall hatte. Lillemor ist „lediglich“ depressiv, eine eingebildete Kranke. Der gut gewachsene Gard ist Martes Ehemann. Er wird von Schuld zerfressen, denn er ist am Sturz seiner Frau schuld. 

Also haben alle einen Grund, negativ zu denken. Ihnen steht Tori gegenüber, die Gesundheitspsychologin, die die vier betreut. Positiv denken ist ihr Rezept, kleine Veränderungen bewirken große Veränderungen ihre Devise.

Schlimm dran ist auch Geirr. Nach einem Verkehrsunfall sitzt er im Rollstuhl. Er hadert mit dem Leben, ist in seinem Verhalten unerträglich und nur noch spöttisch geworden, raucht Joints, trinkt Alkohol und schaut die meiste Zeit Kriegsfilme an. Seine Frau Ingvild ist am Ende. Sie lädt deshalb Tori mit ihrer Vierergruppe zu sich nach Hause ein, verspricht sich davon eine Therapie für Geirr und hofft auf ein Leben, das wieder erträglicher wird.

Ihr Mann, der wie Marte im Rollstuhl sitzt, will davon nichts wissen. Zuerst lehnt er alles ab, dann setzt er Toris positivem Gerede die Antithesen der Behinderten gegenüber: die Belastung durch die körperliche Unfähigkeit; die jetzt negative Grundeinstellung dem Leben gegenüber; die Einsamkeit; den Verzicht auf Sex; die Aussichtslosigkeit für die Zukunft. Der Sarkasmus dominiert.

Ein hartes Gespräch aller setzt ein. Wer ist am kränksten, wer am schlechtesten dran? Halten Ingvild und Gard es mit ihren Partnern noch aus? Die Stimmung ist sehr angespannt. Tori versucht durch Überredung und Strenge die sechs im Zaum zu halten. Es gelingt nicht. Sie gibt auf. Alles bricht nun auseinander. Der Abend wird orgiastisch. Die Coming-outs der einzelnen sind extrem. Gard fällt über Ingvild her. Tori will sich noch einmal einschalten. Vergeblich. Die Kunst des negativen Denkens hat zunächst gesiegt, jedoch auch positive Ergebnisse gezeitigt. Jedenfalls scheinen die Beteiligten und Betroffenen am nächsten Morgen ein Stück weiter zu sein.

Furchtbare Dramen und fruchtbare Erkenntnisse, knallharte Dialoge und extreme Komik, revoltierende Kranke und hilflose Gesunde, Geirrs Ausflippen und Martes Lächeln, alles ist da. Man wird als Zuschauer angestoßen und aufgeweckt, denkt darüber nach, wie schwer das eigene Schicksal sein könnte und wie andere leiden müssen.

Thomas Engel