Sankt Pauli! – Rausgehen, warmmachen, weghauen

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Dokumentation
Obwohl – oder gerade weil – er in den Niederungen der deutschen Fußballligen spielt ist der FC St. Pauli Hamburg einer der beliebtesten Vereine der Republik oder, auf Neudeutsch, Kult. Es war also nur eine Frage der Zeit, bis sich ein Filmemacher diesem Phänomen annimmt. Joachim Bornemann hat diese Aufgabe übernommen und mit dem Aufstieg in die zweite Liga auch eine dankbare Struktur geschenkt bekommen. Das Ergebnis allerdings dürfte in erster Linie eingefleischten Fans des Vereins gefallen.

Webseite: rausgehen-warmmachen-weghauen.com

Deutschland 2008
Regie: Joachim Bornemann
Buch: Joachim Bornemann, Jan D. Gerlach
Musik: Kettcar, Die Sterne, Tomte, Urban Delights, Bela B., Fettes Brot, Beginner
90 Minuten, Format: 1:1,77
Verleih: Brown Sugar Films/ Zorro Films
Kinostart: 7. August 2008

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Im berühmt berüchtigten Stadion am Millerntor, in unmittelbarer Nähe der Reeperbahn trägt der FC St. Pauli seine Heimspiele aus, in einem kleinen, kaum Bundesliga tauglichen Stadion, das meilenweit entfernt von den kaum zu unterscheidenden Arenen und Multifunktionsstadien der Konkurrenz ist. Und ebenso heimelig geht es auch im Klubheim zu, in dem sich Spieler aller Nationalitäten (zumindest diesem Aspekt des modernen Fußballs konnte sich auch St. Pauli nicht entziehen) auf die Spiele vorbereiten. Zum Kaffeklatsch vor dem Spiel faltet der Zeugwart eigenhändig die Servietten, der Umkleideraum ist kaum größer als der eines Dorfvereins, die Trainingsanlagen wären wohl manchem Freizeitkickern zu schäbig.

Und doch hat sich in den letzten Jahren ein stetig größer werdender Kult um den Verein gebildet, wurden die stets ausverkauften Heimspiele zu beliebten Partyzielen für den frühen Freitagabend, bevor es dann auf der Reeperbahn etwas rustikaler weitergeht. Dass der Verein mit Totenkopffahne und ähnlichen Symbolen seine Nähe zur alternativen Szene in den Vordergrund stellt, dürfte entscheidend zu seiner Beliebtheit beigetragen haben. Im FC St. Pauli hat der reflektierte Fußballzuschauer einen Verein, der sich deutlich von der zunehmenden Kommerzialisierung der Großvereine abhebt. Hier ist ein Verein, der sich offenbar gegen den Trend stellt, sich nicht verkauft und dennoch immer wieder erstaunliche Erfolge feiert. Dass er dazu im Dunstkreis des Rotlichtmilieus existiert, die Nähe zu Halbwelt, Boxern oder Zuhältern groß ist und mit Corny Littman eine bekennende Tunte als Präsident wirkt, macht den kleinen FC St. Pauli zu einem idealen Thema für eine Dokumentation.

Umso bedauerlicher ist es, wie selten es Joachim Bornemann in seiner ersten langen Dokumentation gelingt, über bloße Huldigung hinauszugehen. Zumal ihm das Schicksal auch noch eine ideale Struktur auf dem Tablett servierte: Das entscheidende Spiel um den Aufstieg in die zweite Liga ist Fixpunkt des Films, zu dem immer wieder zurückgesprungen wird. Vor allem der Trainer Holger Stanislawski steht hier im Mittelpunkt, der seine Philosophie erklärt und im Umgang mit seinen Spielern gezeigt wird. Doch schon diese Spieler bleiben völlig außen vor. Kein Interview etwa mit einem Fußballer aus Afrika, dessen Sicht auf das Phänomen St. Pauli man gerne gehört hätte. Was denn das besondere an diesem Verein ist, wie sich der Mythos St. Pauli entwickelt hat, ja, wie der Verein an sich überhaupt entstanden ist, man würde es gern erfahren. Mehr als einige kurze Gespräche mit Fanbeauftragten und T-Shirt-Produzenten, die oft von Fans zu Angestellten des Vereins geworden sind, gibt es da nicht. Und ob die zunehmenden Einnahmen durch das vielfältige Merchendising nicht auch Einfluss auf das heimelige des FC St. Pauli haben, bleibt eine der vielen ungestellten Fragen. 

So ist „Sankt Pauli!“ in erster Linie ein Film für Fans geworden, für all diejenigen, die den Verein ohnehin lieben, deren Herz bei immer neuen malerischen Aufnahmen des Stadions, bei zahllosen Zeitrafferaufnahmen vom Bau der neuen Tribüne übergehen. Was es mit diesem Projekt auf sich hat, das immer wieder Thema ist und offenbar zum Streit zwischen Präsident und Vorstand geführt hat, wie der Film andeutet, wenn man die Umstände nicht ohnehin schon kannte, wird man sie durch den Film nicht erfahren. Was bleibt ist die verschenkte Gelegenheit dem Mythos eines der interessantesten Fußballvereine der Republik näher zu kommen und mehr zu sein, als eine Hommage.

Michael Meyns