Kunst, sich die Schuhe zu binden, Die

Diese intelligente, fröhliche Komödie aus Schweden zeigt wieder einmal, dass eine gute Geschichte ganz ohne knallige Effekte und Starrummel auskommen kann: Der verkrachte Schauspieler Alex sorgt mit frischen, neuen Ideen für Aufruhr in einer Einrichtung für Menschen mit Handycap. Während seine Schützlinge ihn unterstützen und begeistert Eigeninitiative entwickeln, muss Alex gegen konservative Sozialarbeiter und bürokratische Hürden kämpfen. Alex und seine außergewöhnliche Gesangsgruppe bringen Spaß auf die Leinwand und Wärme in die Herzen. Gute Laune garantiert!

Webseite: www.mfa-film.de

OT: Hur många lingon finns det i världen
Schweden 2011
Regie: Lena Koppel
Drehbuch: Lena Koppel, Trine Piil & Pär Johansson
Darsteller: Sverrir Gudnason, Vanna Rosenberg, Mitglieder des Glada Hudik Theaters
101 Minuten
Verleih: MFA+ FilmDistribution
Kinostart: n.n.

PRESSESTIMMEN:



FILMKRITIK:

Alex ist Schauspieler, ein guter natürlich – zumindest hält er sich dafür, auch wenn die Rollenangebote in letzter Zeit ziemlich rar geworden sind. Eigentlich hat er alles, was man für eine Bühnenkarriere braucht. Er liebt das Theater, ist idealistisch, einfallsreich und charmant. Vielleicht hätte Alex mehr Erfolg, wenn er weniger arrogant und etwas disziplinierter wäre. Seine Freundin Lisa jedenfalls hat die Nase voll von dem Faulpelz, der ihr auf der Tasche liegt, und wirft ihn aus der Wohnung.

Es scheint, als ob Sunny Boy Alex genau das gebraucht hat, um zur Besinnung zu kommen. Der einzige Job, der ihm angeboten wird, hat zwar nichts mit Theater oder Film zu tun, aber immerhin gehört eine Wohnung dazu. So wird Alex zum Betreuer einer Gruppe von Behinderten, die in einem Sozialprojekt gemeinsam leben und arbeiten. Dabei hat Alex natürlich auch einen Hintergedanken: Vielleicht gelingt es ihm, Lisa zurückzugewinnen, wenn er sie mit seinem sozialen Engagement beeindrucken kann.

Doch zunächst einmal muss Alex die Probezeit bestehen. Seine direkte Chefin ist die energische Hanna. Sie braucht dringend Urlaub und möchte entlastet werden, doch davon kann keine Rede sein, denn erstmal sieht es aus, als ob Alex mehr Betreuung braucht als seine Schützlinge. Er kommt jeden Morgen zu spät, kümmert sich nicht um Anweisungen, vernachlässigt Sicherheitsbestimmungen und Auflagen, kurz und schlecht: Er macht alles falsch, was man nur falsch machen kann. Durch seine Ignoranz bringt er einige Mitglieder der Gruppe sogar in Lebensgefahr.

Bald aber lernt Alex, mit seinen Schützlingen umzugehen, die ihn von Anfang an geliebt haben. Man könnte es auch anders sagen: Alex wird erwachsen und lernt, Verantwortung zu übernehmen. Je besser er sich einlebt, desto mehr wächst sein Respekt der Gruppe gegenüber. Alex fällt auf, dass es im Projekt-Alltag wenig Freiraum für kreative Aktivitäten gibt. Stattdessen werden immer wieder dieselben öden Tätigkeiten absolviert. Jeder hat seine feste Aufgabe bei den Hilfsarbeiten auf einem Holzhof, und hinterher wird der Umgang mit Schnürsenkeln an übergroßen Schuhmodellen geübt. Als Alex entdeckt, dass alle gern und gut singen, probt er ein wenig mit ihnen und meldet die Gruppe kurzerhand bei einer schwedischen TV-Talentshow an. Doch damit hat es sich Alex nicht nur bei seinen Vorgesetzten verscherzt, sondern auch bei den Eltern seiner Schutzbefohlenen …

Nach einer wahren Geschichte entstand diese erfrischende Komödie um einen verkrachten Schauspieler, der seine Berufung findet. Die Darsteller mit Handycap gehören zu der inzwischen weit über die Grenzen Schwedens bekannten Theatertruppe „Glada Hudik“, die tatsächlich von einem Behindertenbetreuer gegründet wurde. Alle spielen ihre Rollen sehr eindringlich, aber ganz ohne Pathos, stattdessen humorvoll und mit viel Selbstironie. Alex, Sverrir Gudnason, ist ein jungenhafter, hübscher Kerl, der sich vom schluffigen Schönling zum mutigen Kämpfer entwickelt. Regisseurin Lena Koppel lässt den Schauspielern viel Platz für Nuancen. Die Dialoge sind witzig, lakonisch und gerade so feinfühlig, dass keine Rührseligkeit aufkommt. Erfreulicherweise gibt es ein kluges Drehbuch, das auf Plattitüden und brave Political Correctness ebenso verzichtet wie auf dumpfe Holzhammerpädagogik.

Was möglicherweise eine seichte Schmonzette hätte werden können, präsentiert sich als spannende, anrührende Geschichte mit überraschenden Wendungen. Nicht nur in der Darstellung überzeugt der Realismus, sondern auch in der Entwicklung der Handlung. Wie schön! So führt der Weg vom betreuten Wohnen nicht etwa direkt ins Finale der Talent-Show, wie man befürchten könnte. Stattdessen gibt es einige tragische und viele komische Zwischenfälle, bis die Gruppe schließlich zum ersten Mal auf der Bühne steht. Und auch wenn dieser Auftritt ganz anders geplant war: Es werden alle bezaubert. Eltern, Betreuer und natürlich das Kinopublikum.

Gaby Sikorski

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