Lamento

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Ein stilles, ruhiges, genau beobachtetes Debüt ist Jöns Jönssons „Lamento“, der in der Perspektive Deutsches Kino bei der diesjährigen Berlinale seine Weltpremiere feierte. Neben den ausgefeilten Breitwand-Bildern überzeugt vor allem die schwedische Darstellerin Gunilla Röör in der Rolle einer Mutter, die nur langsam mit dem Selbstmord ihrer Tochter umzugehen lernt.

Webseite: www.missingfilms.de

Deutschland 2014
Regie, Buch: Jöns Jönsson
Darsteller: Gunilla Röör, Hendrik Kraft, Blörn Andersson, Elin Söderquist, Sandra Huldt, Inga Landgrè
Länge: 86 Minuten
Verleih: missingFILMs
Kinostart: 9. Oktober 2014

FILMKRITIK:

Unzweifelhafterweise ist der Film ein erzählendes Medium. Doch allzu oft wird das Erzählen auf das dezidierte Erzählen von Geschichten, mit klarem Beginn und Ende, mit Spannungselementen und deutlich wahrnehmbaren Wendungen reduziert. Doch die Welt ist meist nicht so klar und einfach in zwei Stunden zu fassen, meist bleiben Fragen offen, gibt es einfach keine Lösungen, geht das Leben seinen Gang. Nicht viele Filme versuchen, dieses Unbestimmte auf die Leinwand zu bringen durch die bloße Beobachtung einer Figur und ihrer Handlungen etwas über die menschliche Natur zu erzählen.

Genau dies versucht der in Babelsberg ausgebildete, aus Schweden stammende Regisseur Jöns Jönsson mit seinem ambitionierten Debütfilm „Lamento“. Es geht um Magdalena (Gunilla Röör), eine Frau von circa Mitte 50, die allein in einer unbestimmten Wohnsiedlung lebt, in einer kleinen unbestimmten schwedischen Stadt. Ganz normalen Tätigkeiten geht Magdalena nach, auch wenn seit einiger Zeit nichts mehr normal ist: Ihre Tochter Sara hat Selbstmord begangen, sich vom Balkon der Wohnung gestürzt und die Mutter allein zurückgelassen. Mit dem konsequenten Aufrechterhalten der Normalität versucht Magdalena nun, das Nachdenken über den Tod ihrer Tochter zu unterdrücken: Sie versucht den Hund ihrer Tochter zu verkaufen, beobachtet das Kind ihrer zweiten Tochter beim Klavierspiel, isst mit ihren Verwandten zu Abend, geht mit Freunden in eine Kneipe.

Mit dem Auftauchen von Johannes (Hendrik Kraft), dem deutschen Freund von Sara, taucht ein erster Stolperstein auf. Magdalena lässt den Besuch ein paar Tage bei sich wohnen, man redet ein wenig, ohne wirklich auf das Thema zu sprechen zu kommen, Johannes nimmt ein paar seiner Sachen mit und ist wieder verschwunden. Doch fortan stößt Magdalena immer wieder auf Menschen, die Sara kannten, irgendwie mit ihr zu tun hatten, etwas erzählen könnten, was Magdalena aber nicht hören will. Erst als sie eine Nacht mit ihrem Bekannten Sigge (Björn Andersson) verbringt, beginnt sie auf einmal zu erzählen, von der Nacht, als Sara aus dem Fenster sprang.

Viele Fragen lässt Jöns Jönsson offen und vertraut ganz auf seine Hauptdarstellerin Gunilla Röör. Die in Schweden bekannte Darstellerin ist in fast jeder Einstellung präsent, oft harrt der Blick der Kamera lange auf ihrem Gesicht, auf dem sich kaum eine Regung zeigt. Umso eindringlicher sind dann die wenigen Momente, in denen Magdalene ihre Fassade ein klein wenig öffnet, sich die Emotionen Bahn brechen, die sie seit dem Tod der Tochter zu kontrollieren sucht. Wie soll man mit dem Selbstmord eines geliebten Menschen umgehen, erst Recht in einer Kleinstadt, in der jeder Jeden kennt bzw. zu kennen glaubt.

Ganz langsam lässt Röör kleine Momente der Schwäche zu, doch eine Erlösung, eine in irgendeiner Form geartete Katharsis hat der Film nicht parat. Das Leben geht weiter, im Verlauf der 86 Minuten von „Lamento“ hat sich fast nichts geändert, doch bei dieser präzise gefilmten und gespielten Beschreibung der Normalität zuzuschauen ist dennoch ein sehenswertes Erlebnis.
 
Michael Meyns