Lucy in the Sky

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Als hätte sich Terrence Malick an „Aufbruch zum Mond“ versucht – treffender ließe sich Noah Hawleys von wahren Ereignissen inspirierte Astronautinnen-Drama „Lucy in the Sky“ kaum beschreiben. Und genau deshalb benötigt es für den mit Natalie Portman hochkarätig besetzten Film auch viel Muße. Sonst erkennt man die darin steckende Schönheit nicht.

Webseite: www.programmkino.de

USA 2019
Regie: Noah Hawley
Darsteller: Natalie Portman, Jon Hamm, Zazie Beetz, Ellen Burstyn, Dan Stevens, Jeffrey Donovan
Verleih: Fox Searchlight / Disney
Länge: 124 Min.
Start: 2. April 2020

FILMKRITIK:

Die ehrgeizige junge Astronautin Lucy Cola (Natalie Portman) ist gerade von ihrer ersten Weltraummission zurückgekehrt. Sie hat den Blauen Planeten von oben gesehen und ist von diesem Anblick noch immer hin und weg. Wieder auf der Erde angekommen, gehen ihr diese Bilder nicht mehr aus dem Kopf. Fortan fühlt sie sich klein und unbedeutend, findet nicht mehr in ihren Alltag als Mutter und Ehefrau zurück. Lucy möchte so schnell es geht wieder ins Weltall hinauf. Über ihre Anpassungsprobleme in der realen Welt spricht sie derweil mit einem Psychiater. Dieser realisiert Lucys psychischen Probleme, was der jungen Frau Unbehagen bereitet. Immer mehr droht Lucy, den Bezug zur Realität zur verlieren und steigert sich in einen Wahn rein, der für ihr Umfeld nur schwer zu ertragen ist. Und er wird eskalieren…

Im vergangenen Jahr überwältigte „La La Land“-Regisseur Damien Chazelle mit seinem Weltdraumdrama „Aufbruch zum Mond“ in erzählerischer Intimität wie inszenatorischer Wucht und lieferte damit einen der besten Filme 2018 ab. Dass Noah Hawley („Bones – Die Knochenjägerin“) in seinem ersten Spielfilm nun nur ein Jahr später von einer weiblichen Astronautin und ihrer Reise ins Weltall erzählt, erinnert da auf den ersten Blick an den aktuellen und von #MeToo und Co. angestoßenen Trend, verstärkt Filme über Frauen zu erzählen und diese thematisch auf eine Ebene mit den unzähligen Werken über populäre Männer zu stellen. Sollte dem tatsächlich so sein, lässt sich nur sagen: Schade, dass es dafür erst eine Online-Kampagne benötigte. Doch „Lucy in the Sky“ wirkt ganz und gar nicht wie eine aus der Not oder dem Zwang heraus geborene Arbeit, sondern wie eine Geschichte, die voll und ganz erzählwürdig ist. Im Mittelpunkt steht die Astronautin Lucy Cola, deren Figur von der 1963 geborenen Lisa Marie Nowak inspiriert wurde. Nowak war (wie Lucy im Film) ein einziges Mal Teil einer Raumfahrer-Crew und begann anschließend eine kriminelle „Karriere“.

So viel sei also direkt verraten: „Lucy in the Sky“ ist – anders als der zunächst zitierte „Aufbruch zum Mond“ kein klassischer Weltraumfilm, sondern befasst sich vorwiegend mit den Folgen danach sowie den Vorbereitungen für den nächsten Flug. Vor allem aber erzählt das von Eliott DiGuiseppi und Brian C. Brown („About a Boy“-Serie) Skript von den emotionalen Auswüchsen der Protagonistin, die nach ihrer Reise ins All unter posttraumatischen Belastungsstörungen leidet. „Lucy in the Sky“ ist also vor allem ein Charakterdrama, dass Noah Hawley vorwiegend assoziativ mit verhältnismäßig wenig Dialog, dafür unter Zuhilfenahme einiger vorzüglicher visueller Spielereien inszeniert. Vor allem Lucys Gefühl der emotionalen Verlorenheit in der ganz normalen Welt fängt Hawley respektive seine Kamerafrau Polly Morgan („Legion“) wunderbar ästhetisch ein, wenn sich nicht etwa Lucy durch die Räume bewegt, sondern die Räume (= die Welt) wie schwerelos an ihr vorbeiziehen. Irgendwann bekommt man selbst das Gefühl, dass diese Frau im Hier und Jetzt gar nichts zu suchen hat und im All besser aufgehoben ist.

Gleichwohl muss man sagen, dass es einem das Skript aufgrund der auf das Notwendigste reduzierten Erzählweise nicht einfach macht. Insbesondere über die Hauptfigur (ausgerechnet!) erfährt man kaum etwas. Und Natalie Portman („Black Swan“) gibt sich alle Mühe, diesen Eindruck der Unnahbarkeit bis zum bittersüßen Ende aufrecht zu erhalten. Mit ihr und den Außenstehenden mitzuleiden, fällt da mitunter schwer; zumal Lucys Umfeld nicht viel mehr Zuwendung zuteilwird. Lucys harsche Mutter muss sich mit der Charakterisierung der klischeehaften Eislaufmutter begnügen, ihr von Lucy selbst auf Distanz gehaltener Ehemann (Dan Stevens) darf nur zwei, drei Sätze überhaupt sagen und Jon Hamm („Catch Me!“) holt zwar noch das Beste aus seiner verführerischen Kollegenrolle heraus, wirkt aber mindestens genauso verschenkt wie „Joker“-Star Zazie Beetz, deren Figur nur dazu dient, eine auf das Ende hinzusteuernde Dreiecksgeschichte zu provozieren. Am Ende sind vor allem all jene Szenen interessant, in denen wir Lucys Welt aus ihrer Perspektive wahrnehmen; die Faszination für die Raumfahrt genauso wie das Desinteresse an der normalen Welt. Hier wird Noah Hawley in seiner Aneinanderreihung gleichermaßen assoziativer wie wunderschöner Bildabfolgen bisweilen ähnlich undurchsichtig wie sein Kollege Terrence Malick. Und bei dem gilt ja umso mehr: Das muss man mögen!

„Lucy in the Sky“ folgt einer an posttraumatischen Belastungsstörungen leidenden Astronautin durch die Welt und auf dem Weg zum nächsten Einsatz. Das Geschehen bleibt merkwürdig distanziert, entfaltet aber eine Faszination, sofern man sich auf die Inszenierung einlassen kann und keinen „‘Aufbruch zum Mond‘ mit einer Frau“ erwartet.

Antje Wessels