Maigret

Zum Vergrößern klicken

Bekannt wurde der belgische Schriftsteller Georges Simenon vor allem durch seine Romane und Erzählungen über den fiktiven Pariser Ermittler Jules Maigret, den es über die Jahre auch immer wieder auf die große Leinwand und den kleinen Bildschirm verschlug. Für eine Adaption des bereits mehrfach verfilmten Buches „Maigret und die junge Tote“ schlüpft nun Gérard Depardieu in die Rolle des einfühlsamen Polizisten und liefert unter der Regie von Patrice Leconte („Nur eine Stunde Ruhe“) eine einnehmende, von Wehmut durchdrungene Darbietung ab. Aufwerten kann sie den zu schwerfälligen, oft an der Oberfläche bleibenden Krimi allerdings nur bedingt. Trotz einiger atmosphärischer Akzente lässt einen der Film am Ende seltsam kalt.

Webseite: https://www.centralfilm.de/

Regie: Patrice Leconte
Drehbuch: Patrice Leconte, Jérôme Tonnerre
Darsteller: Gérard Depardieu, Jade Labeste, Mélanie Bernier, Aurore Clémont, Hervé Pierre, Clara Antoons, Pierre Moure, Bertrand Poncet u. a.

Länge: 88 Minuten
FSK: ab 12 Jahren
Verleih/Vertrieb: Plaion Pictures/Central Film
Kinostart: 30.03.2023

FILMKRITIK:

„Maigret“ – der schlichte Titel deutet es schon an: Hier soll nicht nur ein Mordfall abgespult werden. Der Protagonist und sein Befinden stehen ebenso im Zentrum des Interesses. Nicht von ungefähr beginnt der auch am Drehbuch beteiligte Leconte seine recht freie Adaption mit einem Arztbesuch. Der sich müde fühlende, unter Appetitlosigkeit leidende Maigret (Gérard Depardieu) müsste, so der Mediziner (Hervé Pierre), eigentlich schleunigst kürzer treten und sollte unverzüglich mit dem Rauchen aufhören. Die geliebte Pfeife, eines seiner Markenzeichen schlechthin, bleibt daher aus. Ein paar Hinweise zur richtigen Handhabung des Tabakinstruments kann er sich im weiteren Verlauf aber nicht verkneifen. Essen – ebenfalls ein kleiner Running Gag – lehnt Maigret immer wieder ab, sei es zu Hause oder während der Arbeitszeit.

Zu schaffen macht dem für seine empathischen Fähigkeiten berühmten Ermittler der brutale Mord an einer unbekannten jungen Frau (Clara Antoons), deren elegantes Abendkleid nicht zu ihren restlichen Accessoires passen will. Bevor die Suche nach dem Täter losgehen kann, möchte Maigret mehr über sie erfahren, in ihr Leben eintauchen. Denn nur so glaubt er, später auch die richtigen Schlüsse ziehen zu können. In einem Modegeschäft erhält er erste wichtige Informationen: Das Opfer habe sich sein schickes Kostüm nur geliehen und laut Verkäuferin wie ein unsicheres, verlorenes Mädchen vom Land gewirkt, das all seiner Träume von einem aufregenden Leben in Paris beraubt worden sei.

Worte, die nachhallen, als Maigret nur wenig später eine ähnlich einsam wirkende junge Frau namens Betty (Jade Labeste) trifft, der er schon bald tatkräftig unter die Arme greift. Nachdem er die spartanische Unterkunft der Toten ausfindig gemacht hat, bringt er Betty kurzerhand dort unter. Was wir als Zuschauer früh erahnen können, da wir die ermordete Unbekannte auf einer vornehmen Verlobungsfeier sehen, offenbart sich nach und nach auch dem Kommissar: Menschen aus der Oberschicht sind in das Verbrechen verwickelt.

Gérard Depardieu ist zweifelsohne eine Reizfigur, stets für einen Skandal gut. Schlagzeilen machte der französische Kinostar in den letzten Jahren beispielsweise nicht nur wegen seiner demonstrativen Nähe zu Wladimir Putin. Berichtet wurde außerdem über die – Stand März 2023 offenbar noch laufenden – Ermittlungen, nachdem die Schauspielerin Charlotte Arnould Depardieu wegen Vergewaltigung angezeigt hatte. Im Wissen um Letzteres bekommt „Maigret“ einen seltsamen Beigeschmack. Immerhin sind sexuelle Übergriffe, wie sich langsam herauskristallisiert, Bestandteile des Plots. Was ebenfalls aufhorchen lässt: In einer Szene deutet Betty gegenüber dem Kommissar Liebesgefälligkeiten an, worauf er jedoch nicht eingeht.

Egal, wie man zu Depardieu als Mensch und Privatperson stehen mag. Schwer bestreitbar ist sein darstellerisches Können. Mit einer ruhigen, in sich gekehrten Performance verleiht er dem Film eine melancholische Aura und zeichnet prägnant das Porträt eines Mannes, der an der Schlechtigkeit der Welt leidet, aber dennoch weitermacht. Zu wünschen wäre diesem schwermütigen Polizisten ein Fall, der psychologisch in die Tiefe geht, seine Themen nicht nur anreißt und zumindest ein paar Spannungsmomente bereithält.

Maigret wirkt plastisch, auch, weil ihn das Schicksal des Mordopfers an einen persönlichen Verlust erinnert. Alle anderen Charaktere hingegen bleiben weitgehend blass, erwachen nicht zu echtem Leben. Die Erfahrungen junger Frauen, die mit großen Hoffnungen in die Metropole kommen, nur um dort hart zu landen und ausgenutzt zu werden, hätten dem Krimi dramatisches Gewicht verleihen können. Das Drehbuch greift allerdings zu kurz, um größere Ausdruckskraft zu erzielen. Halbherzig abgehandelt wird auch das Machtgefälle zwischen Arm und Reich.

Dass sich der Film in seinem Erzähltempo ein wenig seinem abgekämpften Protagonisten anpasst, der etwa nur mit Mühe die Treppen zur Wohnung des Opfers erklimmt, ist eigentlich eine nette Idee. „Maigret“ ist dann aber doch ein gutes Stück zu behäbig, hangelt sich träge von einem Zeugengespräch zum nächsten und droht so, die Aufmerksamkeit des Publikums zu verlieren. Etwas Esprit hätte überdies der visuellen Gestaltung gutgetan. In den grauen, ausgewaschenen Bildern eines merkwürdig entvölkerten Paris scheint zwar etwas von der thematisierten Verlorenheit durch. Was stimmungsvoll sein soll, ist allerdings auf Dauer ein bisschen eintönig. Warum die Kamera manchmal von einer plötzlichen Unruhe erfasst wird, geradezu fiebrig erscheint, lässt sich nicht wirklich nachvollziehen – und kommt daher schlicht effekthascherisch rüber.

 

Christopher Diekhaus