Mary & Max – oder schrumpfen Schafe wenn es regnet?

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Es ist nicht der Stoff, aus dem gemeinhin Komödien gestrickt sind. Ein achtjähriges Mädchen aus einem kaputten Elternhaus und an Autismus erkrankter Mittvierziger schreiben sich über Tausende Kilometer hinweg. Der Australier Adam Elliot erzählt in seinem Langfilmdebüt mit sicherem Gespür für charmante und skurrile Details von zwei Außenseitern, die eine ungewöhnliche Freundschaft verbindet. Sein nach der Maßgabe der klassischen Stop-Motion-Technik produziertes Animationskunstwerk berührt das Herz ganz ohne falsche Rührseligkeit.

Webseite: www.mfa-film.de
OT: Mary and Max
AUS 2009
Regie & Drehbuch: Adam Elliot
Musik: Dale Cornelius
Mit den Stimmen von Philip Seymour Hoffman, Toni Collette, Barry Humphries, Bethany Whitmore, Eric Bana
Laufzeit: 92 Minuten
Kinostart: 26.8.2010
Verleih: MFA
 

PRESSESTIMMEN:

Die Geschichte einer Freundschaft, mal zart, mal bitter, immer ein Genuss.
Kultur-Spiegel

FILMKRITIK:

Die Vorstadt als das Tor zur Hölle. Immer wieder wird das Surburbia-Motiv in Filmen für eine meist eher niederschmetternde Geschichte herangezogen. Dasselbe gilt für körperliche wie seelische Gebrechen, Themen wie Vereinsamung, Alkoholismus und unerfüllte Liebe. Es erscheint daher zunächst wie ein Himmelfahrtkommando, wenn ein Filmemacher glaubt, aus diesen Zutaten eine heitere, ermutigende und höchst unterhaltsame Erzählung basteln zu können. Der australische Animationskünstler Adam Elliot hat sich bei der Verwirklichung seiner verwegenen Idee von nichts und niemandem aufhalten lassen. Als Referenz diente ihm dabei sein Oscar-prämierter Kurzfilm „Harvie Krumpet“, der mit viel Witz und Charme das Leben eines vom Pech verfolgten Tourette-Patienten nachzeichnete.

In seinem Langfilmdebüt schenkt Elliot gleich zwei Außenseitern seine volle Aufmerksamkeit. Mary (Stimme: Bethany Whitmore als Kind, Toni Collette als Erwachsene) ist, als wir sie kennenlernen, gerade einmal acht Jahre alt. Sie wächst Mitte der siebziger Jahre in einem schmucklosen Vorort von Melbourne auf. Ihr Vater arbeitet in einer Teebeutelfabrik und stopft in seiner Freizeit tote Vögel aus, ihre Mutter ist Alkoholikerin und notorisch schlecht gelaunt. Freunde hat Mary keine und so sucht sie sich andere Beschäftigungen. Eines Tages beschließt sie, einer zufällig ausgewählten Person in New York einen Brief zu schreiben. Das Schicksal erwählte den 44-jährigen Max Horovitz (Philip Seymour Hoffman). Max lebt ein recht zurückgezogenes Leben. Er liebt Schokoladen-Hot-Dogs, guckt Kinderserien und geht ansonsten nicht gerne aus dem Haus. Über Marys Brief und dessen Inhalt – Mary fragt sich, ob die Babys in Amerika womöglich aus Cola-Dosen „schlüpfen“ – ist er zunächst verwundert. Und doch entschließt er sich, ihn zu beantworten.

Es ist der Beginn einer mehr als ungewöhnlichen Brieffreundschaft über Kontinente, Jahre und einen nicht unerheblichen Altersunterschied hinweg. Mary und Max schreiben über das, was sie gerade erleben, was sie beschäftigt und was ihnen ganz einfach wichtig ist. Adam Elliots Film mag vor dem Hintergrund dieser einfachen Prämisse wenig spektakulär anmuten, tatsächlich fällt das nach einer Produktionszeit von fünf Jahren fertig gestellte Resultat ungemein kurzweilig und unterhaltsam aus. Das liegt vornehmlich an Elliots Blick für Details, seiner Liebe für die Figuren und die klassische Stop-Motion-Technik. Letztere verleiht „Mary & Max“ einen – im positiven Sinn – durchaus altmodischen, nostalgischen Look, über den sich ein unmittelbarer Zugang zu den beiden Titelhelden ergibt. Hier scheint kein Computer mit gigantischer Rechenleistung zwischen ihnen und uns zu stehen. Das stringente Farbkonzept, bei dem Marys und Max’ Welt von Elliot in jeweils unterschiedliche Braun- und Grautöne getaucht und um einzelne rote Farbtupfer ergänzt wurde, funktioniert zudem als unverwechselbarer Fingerabdruck.

„Mary & Max“ erzählt eine zu gleichen Teilen humorvolle wie tieftraurige Außenseiter-Geschichte. Auch wenn das stimmt und sowohl Max als auch Mary zahlreiche Schicksalsschläge meistern müssen, bleibt der Ton stets hoffnungsvoll und lebensbejahend. So berichtet der am Asperger-Syndrom, einer Form des Autismus, erkrankte Max seiner Brieffreundin in einem Halbsatz vom Tod der Nachbarin und einem Millionengewinn – ganz so, als sie beides nicht wirklich etwas Außergewöhnliches. Auf der anderen Seite sorgt die kindlich-naive Perspektive Marys immer wieder für wunderbare Brüche mit den dramatischen Ereignissen in ihrem Elternhaus. Wie unverkrampft Elliot auf der Klaviatur großer Emotionen spielt, wird vor allem zum Ende hin deutlich. Er schenkt uns eine Auflösung, die ohne sentimental oder verkitscht zu wirken tief berührt. Konsequenterweise hat man zu diesem Zeitpunkt längst vergessen, dass sich für 90 Minuten alles um zwei sonderbare Knetfiguren drehte.

Marcus Wessel

Alles andere als ein Kinderfilm ist dieser Knettgummi-Animationsfilm des australischen Regisseurs Adam Elliot. Er behandelt so aufbauende Themen wie Alkoholismus, Depression, Selbstmord und schafft es dennoch viel (Galgen)-Humor zu entwickeln. Nur schade, dass „Mary & Max“ durch eine fast konstante Erzählerstimme bisweilen wie ein vorgelesenes Bilderbuch wirkt und weniger wie ein Film.

Mary ist acht und lebt irgendwo in Australien ein einsames, freudloses Leben. Ihre Lieblingsfarbe ist braun, auf der Stirn hat sie ein Muttermal, das an einen Hundehaufen erinnert, ihre Freunde bestehen aus Zweigen, Muscheln oder ähnlichem. Auf der anderen Seite der Welt, in New York, lebt der ebenso sonderliche Max. Er ist jüdischer Atheist, 350 Pfund schwer und liebt Schokoladen-Hot-Dogs. Außerdem leidet er am Asperger-Syndrom. Eines Tages fragt sich Mary, wo denn wohl die Babys in Amerika herkommen. Aus Bierkrügen, wie es Marys alkoholsüchtige Mutter ihr erzählt oder vielleicht doch eher aus Cola-Dosen? Kurzentschlossen greift sich Mary ein Telefonbuch – der Film spielt in einer unbestimmten Zeit, lange vor dem Internet und ähnlicher Entwicklungen – und schreibt einem zufällig ausgewählten New Yorker einen Brief. So beginnt die Brieffreundschaft zwischen Mary und Max, die das Zentrum von Adam Elliots Knetgummi-Animationsfilm bildet. Über Jahre schreiben sich diese beiden so unterschiedlichen Charaktere Briefe, schicken ihr jeweiliges Lieblingsessen um den Globus und geben sich mehr oder weniger gute Ratschläge, um die jeweiligen Probleme zu lösen. Schönerweise wird hier allerdings nicht alles zum Guten, propagiert Elliots Film keine Disneyeske Lösung, sondern belässt es bei dem einfachen Rat, sich so zu akzeptieren wie man ist.

Als Knetgummi-Animationsfilm mit skurrilen Figuren erinnert „Mary & Max“ natürlich zwangsläufig an Aardmans „Wallace & Gromit“, mit seinem bedächtigen oft melancholischen Ton liegt ein Vergleich zu Sylvain Chomets “Die Drillinge von Belleville“ aber viel näher. Und mit diesem betont entschleunigten Animationsfilm teilt „Mary & Max“ auch sein größtes Problem. Der Versuch eine andere Art von Animationsfilm zu drehen, sich von der sowohl von praktisch sämtlichen amerikanischen Filmen, als auch den „Wallace & Gromit“-Filmen praktizierten Formel zu lösen, die auf mitreißenden Bildern beruht, an deren Ende eine halsbrecherische, atemlose Actionszene steht, führt einerseits zu einem originellen Ergebnis. Doch abseits von unzähligen kleinen Gags und witzigen (Bild)-Einfällen ist „Mary & Max“ oft komplett unfilmisch. Praktisch jede Charakterisierung der Figuren, ihre Emotionen und Entscheidungen, werden nicht visuell vermittelt, nicht gezeigt, sondern mittels der Erzählerstimme gesagt. Als Sprecher standen zwar so etablierte Mimen wie Phillip Seymour Hoffman, Toni Collette und Eric Bana zur Verfügung, doch deren wandlungsfähige Stimmen kommen kaum zur Geltung. Oft funktioniert die geerdete Erzählerstimme zwar als Kontrast zur grotesken Note der Bilder, manches Mal wünscht man sich aber doch ein wenig mehr Interaktion zwischen den Figuren, ein wenig mehr echte Emotion und nicht beschriebene. Trotz dieser Einschränkung ist „Mary & Max“ ein überaus origineller Animationsfilm, der nach „Coraline“ und „Der fantastische Mr. Fox“ ein weiteres Mal zeigt, was im Animationskino abseits der dominierenden Kinderfilme mit sprechenden Tieren möglich ist.

Michael Meyns