Ein wunderschöner, kraftvoller und gleichzeitig zärtlicher Film: In einer von leiser Wehmut und feinem Humor durchzogenen Stimmung wird eine Zeit lebendig, die eigentlich von Aufbruchsstimmung geprägt sein könnte: die Nachkriegsjahre in Italien, in denen besonders im Süden des Landes Armut und provinzielle Enge das Leben bestimmten.
Die Atmosphäre dieser Zeit weht durch die Geschichte von Marta, einer ledigen Mutter, die es schwer hat. Als sie aus der Not heraus in eine ungewollte Ehe eingewilligt hat, freundet sie sich heimlich mit dem homosexuellen Hochzeitsplaner an
Originaltitel: Il mio posto è qui
Webseite: https://arsenalfilm.de/il-mio/index.html
Italien 2024
Regie und Drehbuch: Daniela Porto, Cristiano Bortone (nach dem Roman von Daniela Porto)
Mitwirkende: Ludovica Martino, Marco Leonardi, Giorgia Arena, Francesco Biscione, Biancamaria D’Amato
Kamera: Emilio Maria Costa
Länge: 100 Minuten
Verleih: Arsenal
Start: 15. Mai 2025
Über den Film
Originaltitel
Il Mio Posto È Qui
Deutscher Titel
Mein Platz ist hier – Il Mio Posto È Qui
Produktionsland
DEU,ITA
Filmdauer
110 min
Produktionsjahr
2024
Produzent
Bortone, Cristiano
Regisseur
Bortone, Cristiano / Porto, Daniela
Verleih
Arsenal Filmverleih GmbH
Starttermin
15.05.2025
In den kleinen Städten und Dörfern Kalabriens im Süden Italiens ist zum Kriegsende 1945 kaum etwas von italienischer Lebensfreude und Leichtigkeit zu bemerken. Die Menschen sind arm, es fehlt an allem. Italien ist eine Republik geworden, es gibt neue, fortschrittliche Gesetze, auch das Frauenwahlrecht wurde eingeführt, aber hier im Mezzogiorno wird das Leben von der Kirche und von einem zutiefst konservativen Umfeld bestimmt. Darunter muss auch Marta (Ludovica Martino) leiden. Sie ist erst 17 und schon Mutter – ihr Verlobter, der Vater ihres kleinen Sohnes, wurde Soldat und ist nicht aus dem Krieg zurückgekehrt. Marta wird von allen verachtet. Ihr eigener Vater nennt sie eine Hure, sie gilt als Schande ihrer Familie und des ganzen Ortes. Als sie in die Ehe mit einem Witwer einwilligt, der schon zwei Kinder hat, verändert sich ihre Situation zum Besseren.
Bei den Vorbereitungen für die Hochzeit lernt sie den Kirchendiener Lorenzo (Marco Leonardi) näher kennen. Er ist eine Art Gemeindehelfer und fungiert als Hochzeitsplaner. Lorenzo ist ziemlich offen schwul – praktisch jeder weiß das, und Marta passt sich in ihren homophoben Vorurteilen dem Trend an. Doch bald merkt sie selbst, dass Lorenzo nicht nur klug und gebildet, sondern ein richtig feiner Kerl ist. Die beiden werden gute Freunde, und Marta wird für Lorenzo eine Art Lehrling in Sachen Emanzipation. Der lebens- und leidenserfahrene Lorenzo traut sich was, er ist mutig und lässt sich nicht unterkriegen. Er macht Marta nicht nur mit vielen neuen Gedanken bekannt und führt sie in die heimliche Schwulen-Community ein, sondern er bringt sie auch in die nächste größere Stadt, wo sich einige Frauen zusammengeschlossen haben und für ihre Rechte kämpfen. Gemeinsam mit ihm und dank seiner Hilfe entdeckt Marta eine andere Art zu leben und findet – heimlich und ohne dass ihre Familie etwas davon erfahren darf – über ihn einen Weg, um der zutiefst scheinheiligen und bigotten Gemeinschaft zu entkommen, die bis jetzt ihr Leben bestimmt hat.
Dieses intensive, zärtliche, glücklicherweise aber keineswegs sentimentale Drama entstand nach dem ersten Roman von Daniela Porto und wurde zudem ihr Kinodebüt als Regisseurin. Gemeinsam mit Cristiano Bortone, der schon länger als Filmproduzent und Regisseur aktiv ist, schrieb sie auch das Drehbuch, das Parallelen zu heutigen Entwicklungen nicht scheut. Schon deshalb ist es positiv, dass die Geschichte weder nostalgisch wirkt noch die üblichen Gute-Laune-Klischees vom italienischen Süden pflegt. Also nix mit Pizza, Pasta, Tarantella. Sowohl was die Landschaft als auch die Bilder der abgelegenen Kleinstadt betrifft, herrscht der Eindruck einer beinahe mittelalterlich wirkenden Stimmung vor. Hier kann sich eigentlich niemand so richtig wohlfühlen. Das gilt für die Tag und Nacht schuftenden Frauen ebenso wie für die Männer, die sich (noch) ziemlich sicher fühlen dürfen in ihrer Rolle als Patriarchen. Die Frauen kuschen vor der Macht, es bleibt ihnen auch kaum etwas anderes übrig, denn sie sind von den Männern abhängig, von ihren Vätern, Brüdern und Ehemännern wie von den Priestern. In der Kirche predigt Don Antonio den Frauen: „Denkt daran, dass der Ehemann das Oberhaupt der Familie ist. Er bringt das Brot nach Hause, und sein Schweiß ist wie Weihwasser.“ In den ärmlichen Regionen des Südens funktioniert dieses Prinzip noch ganz gut, aber in den größeren Städten ist die Welt schon in Bewegung geraten: Die Kommunistische Partei in der nächsten Stadt, zu der auch Frauen gehören, propagiert die Emanzipation, und Marta muss dort feststellen, dass sie nicht die einzige ist, die unterdrückt wird. Und dass es Möglichkeiten geben könnte, den Zwängen und Regeln zu entkommen, die ihr und ihrem Kind das Leben schwermachen.
Manches erinnert in diesem Film atmosphärisch an die Klassiker des italienischen Neorealismus. Das liegt auch am Licht; es ist sparsam in den Innenräumen, leuchtend in den Außenaufnahmen. Und es zeigt die Gegensätze zwischen Arm und Reich wie in einer Kastengesellschaft: die dunklen Farben der alten, abgetragenen Kleidung von Marta und ihrer Familie, die farbigen Gewänder der Reichen und der kirchlichen Würdenträger. Hauptsächlich ist aber die Atmosphäre dafür verantwortlich, die das Elend der armen Dorfbevölkerung ebenso betont wie die Pracht und die Macht der Kirche. Lorenzo hat in seinem Leben eigentlich schon genug gelitten, aber er hat auch gelernt, sich den äußerlichen Zwängen zu fügen, wenn auch teilweise nur scheinbar, denn es gibt zwei Aspekte, die ihm das Leben erleichtern: Er weiß so einiges über die Männer im Städtchen, wovon andere lieber nichts erfahren sollten, und er kann schweigen. Zum anderen hat er ein Motorrad, und das bedeutet: Freiheit! Mit dem Motorrad ist er unabhängig, er kommt überallhin und er nimmt Marta auf seinen Touren mit. Lorenzo wird Martas Mentor – eine Art Wegweiser in ein neues Leben, das für ihn selbst nicht oder nicht mehr in Frage kommt. Aus diesem Zwiespalt bezieht der Film eine schöne Doppelbödigkeit, denn Lorenzo könnte eigentlich das Städtchen verlassen. Oder ist es zu spät dafür? Dass er es nicht tut, obwohl es ihm woanders vermutlich besser gehen könnte, macht einen großen Teil von Lorenzos Melancholie aus, die ebenso zu seiner Persönlichkeit gehört wie sein feiner Humor und seine Widerstandsfähigkeit. Marco Leonardi, unter anderem bekannt aus „Alles Geld der Welt“ von Ridley Scott, spielt Lorenzo mit viel Eleganz und einem lässigen Charme, der manchmal (auch optisch) an Marcello Mastroianni erinnert. Doch die größte Überraschung in diesem Film ist Ludovica Martino als Marta. Sie ist von einer anrührenden Ernsthaftigkeit, ihr junges Gesicht spiegelt ihr Unglück wider und zeigt, wie sehr sie sich nach Zuneigung sehnt. Scheinbar mühelos und glaubwürdig bis in die kleinsten Gesten spielt Ludovica Martino diese Entwicklung einer jungen Frau, die erkennt, dass sie sich aus den gesellschaftlichen Zwängen lösen könnte … wenn sie nur ein bisschen mutiger wäre!
Gaby Sikorski