München

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Wie soll eine Demokratie auf terroristische Anschläge reagieren? Welche Konsequenzen hat blutige Rache, für eine Nation, aber vor allem für die Individuen, die mit dieser Aufgabe betreut werden. Ausgehend vom Anschlag auf israelische Sportler während der Olympischen Spiele 1972 entwickelt Steven Spielberg seinen überragenden Film, in dem er bewusst mehr Fragen stellt als Antworten bietet und durch diese Ambivalenz eine Universalität erreicht, deren Aktualität unbestreitbar ist.

Webseite: www.muenchen-film.de

Munich
USA 2005
Regie: Steven Spielberg
Buch: Tony Kushner, Eric Roth basierend auf dem Buch „Vengeance“ von George Jonas
Kamera: Janusz Kaminski
Schnitt: Michael Kahn
Musik: John Williams
Darsteller: Eric Bana, Daniel Craig, Matthieu Kassovitz, Hanns Zischler, Ciaran Hinds, Michael Lonsdale, Geoffrey Rush
165 Minuten, Format 1:1,85
Verleih: UIP
Kinostart 26. Januar 2006

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Während der Olympischen Spiele 1972 dringen Mitglieder der palästinensischen Terrorgruppe Schwarzer September ins Olympische Dorf ein, nehmen elf israelische Athleten als Geiseln und verlangen die Freilassung von 200 Gesinnungsgenossen. Sowohl die Bundesrepublik als auch die israelische Regierung weigern sich auf die Forderungen einzugehen. Auf dem Münchner Flughafen kommt es zu einem missglückten Befreiungsversuch, bei dem alle elf Geiseln getötet werden. Israels Reaktion folgt prompt: Ein unabhängig operierendes Team von Geheimagenten soll, je nach Sichtweise, Rache üben bzw. für Gerechtigkeit sorgen und sämtliche palästinensischen Hintermänner des Anschlags eliminieren. Mit dieser Aufgabe betreut wird Avner (Eric Bana), der ein Team von Spezialisten anführt, das nach Europa reist, völlig unabhängig agiert und mit der Arbeit beginnt. Zunächst noch voller Überzeugung das Richtige zu tun, schleichen sich bei Avner und seinen Mitstreitern langsam Zweifel an der Mission ein. Ist das, was sie tun wirklich rechtmäßig? Sind die Namen auf der Liste, die ihnen der israelische Geheimdienst Mossad gegeben hat, wirklich die, die für das Attentat von München verantwortlich waren? Ist es überhaupt möglich Gewalt durch Gegengewalt zu unterbinden?

Es sind diese moralischen Fragen, die Spielbergs Film so komplex und interessant machen. Immer wieder diskutieren die Agenten über ihre Mission, untereinander, aber auch mit ihren Kontakten in der Unterwelt, und beginnen langsam zu verstehen, dass jede Seite, aus ihrer jeweiligen Position heraus durchaus nachvollziehbare und überzeugende Gründe für ihre Haltung hat. Diese differenzierte Sichtweise bei der keine Seite als moralisch im Recht dargestellt wird, trug Spielberg und seinem Autor, dem Dramatiker Tony Kushner, viel Kritik ein. Dazu beigetragen hat die Entscheidung, sich auf das umstrittene Buch von George Jonas zu berufen, das von vielen Seiten als reine Erfindung bezeichnet wird. Doch die Frage ob die Figur des „Avners“ wirklich existiert hat, ob die israelische Vergeltung (und das es eine solche gegeben hat, das tatsächliche und mutmaßliche Terroristen eliminiert wurden, bestreitet selbst der Mossad nicht mehr) so statt gefunden hat, wie Buch und Film sie schildern, spielt letztlich nur eine untergeordnete Rolle.

Worum es Spielberg geht, wird in einer emblematischen Szene gegen Ende des Films zusammengefasst. Da steht Avner, ein leidenschaftlicher Koch, vor dem Schaufenster eines Küchenausstatters und betrachtet Messingpfannen und teure Herde. Die Zweifel an seiner Mission sind schon groß, Teammitglieder gestorben, die Erfüllung der Aufgabe in weiter Ferne. Sein französischer Kontaktmann tritt neben ihn und bemerkt: „One day you could have such a kitchen. It will cost, but home always does.“ Die Kosten der Heimat, versinnbildlicht durch den Tisch, an dem sich eine Familie zum gemeinsamen Mahl versammelt, sind eines der Leitmotive des Films. Die Einheit der Familie, seit jeher Zentrum des Spielbergschen Oeuvres, war selten so passend wie hier. Egal ob Avners eigene Familie – seine schwangere Frau, seine ihm entfremdete Mutter –, seine als Ersatzfamilie fungierenden Kollegen, die Großfamilie seines Kontaktmannes und nicht zuletzt die große Familie des Staates Israel, des Volks der Juden. Immer wieder sieht man die verschiedenen Familien beim gemeinsamen Essen, wird Brot gebrochen, die Bedeutung der Gemeinschaft gezeigt. Dass für den Schutz dieser Familien nahezu jedes Mittel recht ist, scheint sofort nachvollziehbar. Doch die Kosten, die eine Nation und ein einzelnes Subjekt für diesen Schutz zu tragen haben, können immens sein. Mit nie gekannter Kälte und Brutalität zeigt Spielberg wie die Agenten ihren Job erledigen, wie sie ihre Gegner töten, sich blutige Feuergefechte auf offener Straße liefern, bei denen nicht zuletzt viel „Collateral Damage“ entsteht. In diesen Momenten funktioniert „Munich“ nicht zuletzt wie ein brillant inszenierter Thriller, getragen von der stilistischen Meisterschaft Spielbergs und seiner langjährigen Mitarbeiter, allen voran des Kameramanns Janusz Kaminski. Wie nie zuvor jedoch verzichtet Spielberg auf visuelle Spielereien, die die Essenz des Films überdecken würden. Und die ist das Antlitz Avners, den Eric Bana in einer bemerkenswert subtilen Darstellung zum moralischen Zentrum des Films macht, in dessen Gesicht sich die Folgen der Handlung unmittelbar einzugraben scheinen. Vom überzeugten Kämpfer, für den Israel die (Ersatz-)Mutter ist, versinnbildlicht durch die Premierministerin Golda Meir, wandelt er sich zu einem paranoiden Wrack, das überall Bedrohungen sieht und den Glauben an seine Mission verloren hat.

Wenn er dann am Ende seinen Dienst quittiert, versucht mit seiner einzig wahren Familie ein ruhiges Leben in Brooklyn zu führen, wird in einer brillanten Einstellung, die mit einem einzigen Schwenk die persönliche Geschichte auf eine universelle Ebene hebt, die Fragwürdigkeit des Versuchs deutlich, mit Gewalt Sicherheit zu erzeugen. Vor der Skyline Manhattans trifft Avner ein letztes Mal seinen Mossad-Kontaktmann Ephraim (Geoffrey Rush in einer der vielen prägnanten Nebenrollen). Sie reden über den Erfolg der Mission, den Avner anzweifelt und Ephraim in keiner Weise in Frage stellt. Avner hat Israel, seine Heimat verlassen, deren Moral er anzweifelt. Dennoch bittet er Ephraim, nach jüdischer Tradition, zum Essen. Doch dieser lehnt mit einem kalten, eindeutigen „Nein“ ab, dreht ihm den Rücken zu und Avner bleibt allein, mit sich und seinen Zweifeln, zurück, geht am Ufer des Hudsons entlang, die Kamera schwenkt auf die Skyline New Yorks, es ist das Jahr 1973, im Hintergrund ragen die Türme des World Trade Centers in den Himmel.

Michael Meyns