Der bisweilen sehr vergnügliche, manchmal sehr nachdenkliche, aber immer unterhaltsame Dokumentarfilm erzählt vom ersten Jahr, das John Lennon und Yoko Ono in New York verbrachten. Mit viel bisher unbekanntem Originalmaterial erzählt er in Form einer Collage von zwei leidenschaftlichen Künstlerpersönlichkeiten, die sich in ihrem politischen Engagement ebenso einig sind wie in ihrem Kunstverständnis. Viel Zeitgeist und viel Musik in einem Film über ein ganz besonderes Liebespaar.
Über den Film
Originaltitel
One to One: John & Yoko
Deutscher Titel
One to One: John & Yoko
Produktionsland
GBR
Filmdauer
100 min
Produktionsjahr
2024
Regisseur
Macdonald, Kevin / Rice-Edwards, Sam
Verleih
Piece of Magic Entertainment
Starttermin
26.06.2025
Die beiden hatten sich gesucht und gefunden: Die avantgardistische Multimedia-Künstlerin Yoko Ono und der Mitbegründer der „Beatles“, John Lennon, waren seit 1969 verheiratet, konnten aber in England keine Ruhe finden. Yoko Ono sah sich immer häufiger mit rassistischen und sexistischen Vorwürfen konfrontiert. Ihr wurde in der Öffentlichkeit oft die Schuld an der Trennung der „Beatles“ zugeschrieben – manche dieser Vorurteile existieren bis heute. Dass die beiden England in Richtung New York verließen, hatte daher vielleicht etwas von einer Flucht, aber es wurde ein Neuanfang daraus. Das Leben im Big Apple ist für beide in vielerlei Hinsicht spannend, nicht nur für John, weil es ein 24-Stunden-TV-Programm gibt. Sie kommen in eine außergewöhnlich bunte Gesellschaft im Zustand einer Dauerkrise: Der Vietnam-Krieg bringt immer mehr junge Leute auf die Straße, gleichzeitig mit der Friedensbewegung etabliert sich eine überaus lebendige Gegenkultur – vieles scheint hier möglich, was in Europa undenkbar ist, und alles ist politisch oder wird politisiert. John und Yoko beziehen ein kleines Apartment in Greenwich Village, dem Studentenviertel von New York mit einer sehr aktiven Community. Schnell sind die beiden integriert, Yoko Ono hatte vorher schon lange Zeit in New York gelebt, es gibt viele Kontakte zu anderen Künstlern, zu Intellektuellen und Aktivisten. Natürlich werden die beiden Super-Promis entsprechend herumgereicht. Sie stehen ständig unter Beobachtung, die Klatschpresse jubiliert, sie werden zu Fernsehdiskussionen und Interviews eingeladen, nehmen Stellung zu Themen wie Rassismus, Friedenspolitik, Feminismus und Umweltfragen. Es sind dieselben Themen wie heute, mehr als 50 Jahre später. Und noch etwas ist auffallend: John beschützt Yoko, die eigentlich eine sehr selbstbewusste, patente Frau ist. Doch auch hier sieht sie sich mit Angriffen konfrontiert – für beide ein Balanceakt, den sie souverän gemeinsam meistern.
Der Dokumentarfilm von Kevin Macdonald und Sam Rice-Edwards spannt in vielen bisher unveröffentlichten Aufnahmen – der gemeinsame Sohn der beiden, Sean Ono Lennon, lieferte einen großen Teil der privaten Dokumente und Aufnahmen, sowie in TV-Bildern und Ton-Dokumenten den Bogen von der Ankunft des Paares in New York bis zum legendären „One to One“-Konzert. Es wurde der einzige Live-Auftritt mit John Lennon nach der Trennung der Beatles: ein Wohltätigkeitskonzert im August 1972 zugunsten der misshandelten und verwahrlosten Insassen des Willowbrook-Kinderheims in der Nähe von New York, der weltweit größten Einrichtung für behinderte Kinder. Der Skandal um das Heim flammt Anfang der 70er auf und steht zudem in einem Zusammenhang mit der persönlichen Situation von John und Yoko. Damals hatte Yoko den Kontakt zu ihrer Tochter Kyoko verloren, die von ihrem ersten Ehemann entführt worden war. Vielleicht ist auch dieser Umstand mit verantwortlich dafür, dass das Künstlerpaar sich so intensiv für die Kinder einsetzt. Das Konzert mit den Live-Auftritten von John und Yoko bildet den Abschluss des Films.
Mit am erstaunlichsten ist dabei die Entwicklung von John Lennon, der offenbar ziemlich blauäugig in seinen USA-Aufenthalt startet. Er lässt sich gleich zu Anfang von vielen politischen Aktivisten begeistern, die ihn offenbar alle für ihre Zwecke einspannen wollten. Anhand zahlreicher Original-Telefongespräche, die John Lennon, der sich vom US-Geheimdienst (vermutlich zu Recht) verfolgt fühlte, aus Beweisgründen mitschnitt, lässt sich klar erkennen, wie er sich immer mehr von radikalen Standpunkten entfernt, obwohl er sich immer noch als revolutionärer Künstler versteht. Allerdings als einer, der sich jeder Form von Gewalt verweigert. Er setzt sich für unschuldig inhaftierte Schwarze Amerikaner ein, indem er die Kaution für sie stellt, und ist offenbar ständig auf der Suche nach Möglichkeiten, wie er – ein sehr vermögender Mann – sich politisch und gesellschaftlich engagieren kann. Gemeinsam mit Yoko arbeitet er an Songs, die diese Entwicklung aufnehmen.
Ein großer Teil des Films, der in seiner kaleidoskopartigen Struktur manchmal so aufgeregt (und aufregend) wirkt wie ein Tag in New York und lediglich in den dankenswerterweise ausgespielten Songs ein bisschen zur Ruhe kommt, spielt in dem nachgebauten Apartment von John und Yoko. Bis in die kleinsten Details – inklusive ständig laufendem Fernseher, herumliegenden Gitarren und überquellenden Aschenbechern – spiegelt es die Atmosphäre der Anfang 70er Jahre: eine Mischung aus nervösem Großstadttrubel, intellektueller Heißblütigkeit und künstlerischer Aufbruchsstimmung. Sehr hübsche, oft komische Akzente setzen Johns Telefonate mit A. J. Weberman, einem stadtbekannten Spinner, der seinen Ehrgeiz darauf verwendete, in Bob Dylans Müll zu wühlen, um den berühmten Künstler als bourgeoisen Schwindler zu entlarven, sowie Yokos Gespräche mit einer Mitarbeiterin, die für eine von Yokos Kunstinstallationen auf der Suche nach Fliegen ist. Das wird dann zu einem ziemlich drolligen Running Gag in diesem Film über ein außergewöhnliches, politisch und kulturell engagiertes Liebespaar auf ihrer Mission für Frieden und Liebe in extrem unruhigen Zeiten.
Gaby Sikorski