Passagiere der Nacht

Zum Vergrößern klicken

In den 80er Jahren spielt Mikhaël Hers „Passagiere der Nacht“, beschreibt das Leben einer Frau und ihrer zwei Kinder, in loser Form, mäandernd, impressionistisch. Weniger durch einen dichten Plot überzeugt das melancholische Drama, als durch seine Atmosphäre, die Stimmungen, das Evozieren einer Zeit, ohne dabei in Nostalgie zu verfallen. Ein unverwechselbar französischer Film, nicht nur wegen seiner Hauptdarstellerin Charlotte Gainsbourg.

Les passagers de la nuit
Frankreich 2022
Regie: Mikhaël Hers
Buch: Maud Ameline, Mariette Désert, Mikhaël Hers
Darsteller: Charlotte Gainsbourg, Quito Rayon Richter, Noée Abita, Megan Northam, Thibault Vincon, Emmanuelle Béart

Länge: 111 Minuten
Verleih: Eksystent Filmverleih
Kinostart: 5. Januar 2023

FILMKRITIK:

Anfang der 80er Jahre: In Paris gehen die Massen auf die Straße, nachdem der Sozialist François Mitterrand die Präsidentschaftswahlen gewonnen hat. Eine neue Zeit beginnt für Frankreich, eine neue Zeit beginnt auch für Elisabeth (Charlotte Gainsbourg), die sich gerade von ihrem Mann getrennt hat und eine Brustkrebserkrankung hinter sich hat. In einer Wohnung in einem Hochhaus, mit atemberaubendem Ausblick über die Stadt, lebt sie nun mit ihren beiden Kindern Mathias (Quito Rayon-Richter) und Judith (Megan Northam), unwissend, was die Zukunft bringen wird.

Zum ersten Mal seit langem ist Elisabeth wieder auf sich gestellt, von den Zwängen der Ehe befreit, aber dadurch unter Druck, ihr Leben selbst zu bestimmen. Ihr Hang zur Schlaflosigkeit lässt sie Radio hören: Die Talkshow Passagiere der Nacht ist ihr liebstes Programm, deren Moderatorin Vanda (Emmanuelle Béart) sie fasziniert. Auf gut Glück fragt sie nach einem Job und wird Mädchen für alles, macht sich so unersetzlich, dass sie Vanda gelegentlich sogar am Mikrofon ersetzen darf.

Für eine Sendung interviewt sie Talulah (Noée Abita) eine junge Rumtreiberin. Eins ergibt das andere, schnell bietet Elisabeth ihr an, in ein freies Zimmer ihrer Wohnung einzuziehen. Bald verliebt sich Mathias in Talulah, eine unglückliche Liebe, die Stoff für seine Schreibversuche wird. Auch bei Elisabeth kommt und geht die Liebe, die Kinder werden älter, die Zeit vergeht, die Leben entwickeln sich in unvorhergesehene Bahnen.

In Deutschland ist der französische Regisseur Mikhaël Hers kaum bekannt, noch muss man sagen. Denn mit seinem siebten Film war der 47jährige in den Wettbewerb der Berlinale eingeladen, wo sein melancholisches Drama zu den stärksten Beiträgen zählte. Von zarter Nostalgie geprägt mäandert „Passagiere der Nacht“ durch die 80er Jahre, ohne dass diese Ära eine spezielle Bedeutung für die ohnehin lose Handlung hätte. Dass zu Beginn des Films mit François Mitterrand gerade ein Sozialist Präsident Frankreichs geworden ist bleibt ebenso nur loser Hintergrund, wie das typische Design, das Elisbeths Wohnung oder ihre Kleidung prägt,  oder die 80er Jahre Musik, die zu hören ist.

Entscheiden ist, dass das Geschehen nicht in der Gegenwart spielt, nicht jetzt, sondern in der Vergangenheit. So als man an eine vergangene Zeit zurückdenken wirkt „Passagiere der Nacht“ dadurch, als läge der Schleicher der Erinnerung über dem Geschehen und hätte die einst vielleicht dramatischen, einschneidenden Ereignisse zu einem langen, ruhigen Fluss geformt. Weniger von Höhepunkten lebt dementsprechend Hers Film, als von Beobachtungen des Alltäglichen, vom Rauchen und Tanzen, Lieben und Leiden, vom Beginn und Ende von Beziehungen oder auch nur dem melancholischen Blick aus dem Fenster, über die Lichter Paris. Manchmal sind es genau solche Alltagsbeobachtungen, die mehr über das Leben erzählen, als komplizierte Plots, und so ein Film ist Mikhaël Hers mit „Passagiere der Nacht“ gelungen.

 

Michael Meyns