Nathalie Davids Film über Paula Modersohn-Becker, Vertreterin des frühen Expressionismus, lässt den Betrachter ratlos zurück. Zumindest wenn er mit der Erwartung gekommen ist, mit Nathalie Davids Film einen klassischen biographischen Abriss zu bekommen. Statt einer Werkanalyse zeichnet David mittels Briefen und Aufzeichnungen, die von wechselnden Sprechern vorgetragen werden, das Leben, vor allem das Liebesleben der Künstlerin nach.
Webseite: www.kairosfilm.de
Deutschland 2007 - Dokumentation
Regie: Nathalie David
Buch: Nathalie David, Kim Menzel
Musik: Henry Altmann und La Kaffeehausavantgarde
82 Minuten, Format: 1:1,85 - nur digital -
Verleih: Kairos Film
Kinostart: 18.9.2008
PRESSESTIMMEN:
FILMKRITIK:
Ähnlich wie der ebenfalls in diesen Wochen ins Kino kommende Film „Die Natur vor uns“, der sich mit dem Fotografen Alfred Erhardt beschäftigte, wurde auch „Paula Modersohn-Becker, ein Atemzug…“ von einer Institution in Auftrag gegeben, die sich mit dem porträtierten Künstler beschäftigt. Auch hier stellt sich also die Frage nach kritischer Distanz, die allerdings durch den Ansatz, den die Künstlerin und Regisseurin Nathalie David, für ihren Film wählt, schnell wieder ad absurdum geführt wird.
Ihr Thema ist zwar die Malerin Paula Becker, später Paula Modersohn-Becker, doch über die künstlerische Bedeutung des Werks Beckers erfährt man in diesem Film so gut wie gar nichts. Immer wieder sind zwar Zeichnungen und Gemälde eingeblendet, doch eine künstlerische Einschätzung dieser Arbeiten findet dezidiert nicht statt. Andererseits ist es David auch nicht an einem biographischen Film im klassischen Sinne gelegen, der die Lebensstationen penibel abhakt und die Erklärungen einer Erzählerstimme mit Dokumentaraufnahmen von Orten bebildert, die der Porträtierte einst bewohnte. Nathalie Davids künstlerische Ansprüche sind eine Nummer größer.
Zwar wird auch ihr Film durch sechs Kapitel, die sich entlang wichtiger Lebensstation Paula Modersohn-Beckers ausrichten, strukturiert, alles was gesprochen wird sind aber Originalzitate. Zum einen aus ihrem Tagebuch, dann aus Briefen zwischen Becker und ihrem späteren Ehemann Otto Modersohn, ihrem Vater und ihrem gutem Freund Rainer Maria Rilke und schließlich aus gesungenen Gedichten Rilkes. Oft sind dies sehr direkte Zitate, in denen Becker ihre Freude über eine Reise, ein Bild, eine Begegnung zum Ausdruck bringt, dann aber auch verklausulierte Sätze, die einen Einblick in die sich verändernde Psyche Beckers zu gewähren suchen.
Das Ergebnis ist ein interessanter, wenngleich äußerst sperriger Versuch über die Rolle der Frau am Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts zu erzählen. Angesichts der Tagebuchaufzeichnungen und Briefe mag man erahnen, wie Becker zunächst die Freiheit des Lebens genoss, die Kunst für sich entdeckte und in der berühmt gewordenen Künstlerkolonie von Worpsweder lebt und arbeitet. Mit der Beziehung zu Otto Modersohn ändert sich dies schleichend. Die freiheitsliebende Modersohn-Becker genießt zwar den fruchtbaren künstlerischen Austausch, fühlt sich ansonsten aber eingeengt. Zunehmend desillusioniert zeigt sie sich von der Ehe, die kaum etwas mit den schwärmerischen Vorstellungen ihrer Jugend gemein hat. Nach vorübergehender Trennung von Modersohn brachte sie Anfang November 1907 die gemeinsame Tochter Mathilde zur Welt, starb aber wenige Wochen später mit nur 31 Jahren an einer Embolie.
Viele dieser Daten und Fakten lässt dieser Film nur erahnen, zu weiten Teilen beschränkt er sich auf den Versuch, eine sukzessive Stimmungsveränderung anzudeuten. Das ist durchaus gelungen, führt allerdings zu einem extrem hermetischen Film. Ohne nicht unerhebliches Vorwissen über Paula Modersohn-Becker bleibt der Zugang weitestgehend verschlossen, denn den Versuch, Uneingeweihte für das Werk Modersohn-Beckers zu gewinnen, unternimmt Nathalie David nicht.
Michael Meyns