Paulista

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Wie soll man leben? Und was braucht es für ein glückliches Leben? Das fragen sich drei Menschen aus der brasilianischen Mittelschicht, die einen Appartementkomplex in São Paulo direkt an der Avenida Paulista bewohnen. Regisseur Roberto Moreira inszeniert seinen Nachfolgefilm zu dem preisgekrönten „Contra Todos“ (2004) als ein Gegenwartsdrama, das mit seinen Thematiken und seine Sinnsuche europäisch wirkt.

Webseite: www.bildkraft.biz

Brasilien 2009
Regie: Roberto Moreira
Buch: Roberto Moreira, Anna Muylaert
Darsteller: Silvia Lourenço, Maria Clara Spinelli, Danni Carlos, Fábio Herford, Paulo Vilhena
Verleih: Bildkraft
Kinostart: 14. März 2013

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Schauspielerin Marina (Silvia Lourenço) hat es satt, ständig für Kindertheater auf der Bühne zu stehen. Sie zieht es aus der Provinz in die pulsierende Großstadt São Paulo, wo sie als Untermieterin bei der Scheidungsanwältin Suzana (Maria Clara Spinelli) unterkommt. Bei der frustrierenden Suche nach einem Engagement lernt Marina die charismatische, aber selbstfixierte Sängerin Justine (Danni Carlos) kennen. Sie verliebt sich Hals über Kopf in sie. Mit der Liebe haben auch Suzana und der Dichter Jay (Fábio Herford) zu kämpfen. Suzana wird von einem gut aussehenden, sanften Kollegen umworben. Nach einigen Dates landen die beiden miteinander im Bett. Aber Suzana hat ein Geheimnis, von dem sie befürchtet, dass sie die Romanze zerstört. Der neurotische Jay hingegen will nicht akzeptieren, dass die Prostituierte Michelle ihre Treffen als reines Geschäft betrachtet. Er ist auf der Suche nach dem perfekten Geschenk, das sie von seiner wahren Liebe überzeugen soll.

Seit Jahren schon steigt Brasilien vom Entwicklungs- zum Schwellenland auf. Es gibt noch immer große soziale Spannungen und Armut; die Verwerfungen in den Favelas, auf die hierzulande bekannte Dramen wie „City of God“ blickten, gehören noch nicht der Vergangenheit an. Aber die Mittelschicht wächst, und auf sie blickt Regisseur Moreira mit seinem Film. Dabei unterscheiden sich die Herausforderungen, vor die sich die Großstädter gestellt sehen, überraschend wenig von denen in Europa oder den USA. Das Aufbrechen von Geschlechter- und Rollenmustern spielt eine große Rolle, und die Suche nach einem selbstbestimmten Leben. Vor allem die Figur der Marina, die nach ihrem Platz in der Metropole, im Beruf und in der Liebe sucht, bietet sich als Projektionsfläche und zieht den Zuschauer ins Geschehen.

Leider gelingt es Moreira, der auch am Drehbuch mitschrieb, nur stellenweise, eine durchgängige Intensität herzustellen. Oft wirkt sein Blick auf die Vorgänge etwas unschlüssig, er bleibt der eines Außenseiters. Besonders schwierig wird es für den Zuschauer, die Figur der Suzana zu durchschauen, deren spezielle Situation, die hier nicht verraten werden soll, eher behauptet als dargestellt wird. Auch Jays Problem mit der Liebe ist nur bedingt nachvollziehbar, zu unentschieden schwankt seine Geschichte zwischen Stadtneurotiker-Komödie und echter Tragik. Leider gelingt es Moreira mit seiner zwar behutsamen, aber auch etwas einfallslosen Bildsprache auch nicht, die Millionenmetropole São Paulo zum Mitspieler zu machen. Das ist schade, weil der Film den Ort des Geschehens schon im Titel trägt und ihm dramaturgisch großen Raum lässt, der dann aber nicht gefüllt wird. Moreira liefert ein leise melancholisches Großstadt-Drama mit Schwächen ab, das aber durch einige unerwartete Wendungen und den tollen Soundtrack mit Songs unter anderem von Radiohead vor allem andere Großstädter ansprechen wird. „Paulista“ steht für ein junges brasilianisches Kino und für Menschen, die beide noch auf der Suche nach sich selbst sind.

Oliver Kaever

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