Puppe, Icke & der Dicke

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Ohne Filmschule, nur durch Learning-by-doing hat sich Felix Stienz das filmische Handwerk beigebracht und legt nun nach einigen Kurzfilmen einen ersten Langfilm vor. Der steckt voll von skurrilen Ideen und Gestalten, die während einer melancholisch, komischen Reise von Berlin nach Paris und zurück über das Leben, die Liebe und sich selbst lernen. Ein origineller, ungewöhnlicher Film.

Webseite: www.puppe-icke-und-der-dicke.de

Deutschland 2012
Regie, Buch: Felix Stienz
Darsteller: Tobi B., Stephanie Capetanides, Matthias Scheuring, Matthias Hinz, Vivien Bullert, Nadia Kibout
Länge: 86 Minuten
Verleih: drei-freunde
Kinostart: 22. November 2012

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Auf Filmhochschulen lässt sich fraglos einiges lernen – aber auch genauso viel verlernen. Zum Beispiel ein Gespür für das wahre Leben, für Figuren und Geschichten, die vielleicht nicht den aktuellen Erzählmodellen entsprechen, die nicht in das Korsett einer drei Akt Struktur passen, sondern wie aus dem Leben gegriffen sind – gerade weil sie so ungewöhnlich sind. Denn was auch immer die drei Hauptfiguren von Felix Stienz Langfilmdebüt „Puppe, Icke & der Dicke“ sein mögen, durchschnittlich sind sie nicht. Die Hauptfigur ist Bomber – der Icke des Titels –, ein leicht kleinwüchsiges Berliner Unikat, Rumtreiber, Tagelöhner, mit frecher Schnauze, die manches Mal vom sympathisch frechen ins beleidigende abdriftet. Meist steht sich Icke somit eher selbst im Weg, auch wenn er lieber die Welt für sein Leben ohne viel Fortune und vor allem ohne Frau verantwortlich macht. Gespielt wird er von Tobi B., einem Berliner Lebenskünstler, der von Felix Stienz fürs Kino entdeckt wurde und hier eine Variation seiner Selbst gibt.

Zu Beginn des Films steht Bomber mal wieder vor dem Nichts: Seine Karriere als Kurierfahrer ist bald Geschichte, nur noch eine letzte Fahrt steht bevor. Statt nach Warschau fährt Bomber aber lieber nach Paris, ein windiges Geschäft verspricht den schnellen Euro, erweist sich aber als Reinfall. In Paris kommt er beim sehr, sehr schweigsamen Bruno (Matthias Scheuring) unter, der unverkennbar der Dicke ist. Dieser sucht in Berlin seine Eltern, von denen er nichts mehr besitzt als ein vergilbtes Foto aus Kindertagen, und wird kurzerhand zum Beifahrer. Auf dem Weg lesen die Beiden schließlich die dritte im Bund auf: die Puppe. Europe (Stephanie Capetanides), eine blinde, schwangere Schönheit, die in Berlin den Vater ihres aus einem One Night Stand entstandenen Kindes sucht. Gemeinsam macht sich das ungewöhnliche und unfreiwillige Trio auf den Weg und erlebt, ja was eigentlich? Abenteuer kann man es kaum nennen, was Autor und Regisseur Stienz seinen Figuren in den Weg stellt. Situationen, Anekdoten durchleben die Drei, treffen auf Gestalten, die ebenso merkwürdig sind wie sie, trennen sich im Streit und finden wieder zusammen, musizieren und kommen schließlich ihrem jeweiligen Ziel ein bisschen näher.

Wie Stienz das erzählt, erinnert in seinem lakonischen, skurrilen Tonfall oft überdeutlich an den Meister des lakonischen, skurrilen Films: Aki Kaurismäki. So viel getrunken wie beim großen finnischen Vorbild wird hier zwar nicht, aber die Musik spielt eine ähnlich große Rolle. Immer wieder treten Bands oder Soloisten aus dem Berliner Kleinkunstmilieu auf, mal einfach so auf einem Parkplatz sitzend, mal in einer Privatwohnung, die zum Club umfunktioniert wurde, mal in surreal anmutenden Momenten, in denen hinter den Figuren plötzlich eine Band auftaucht und mit ihrer Musik deren Gemütszustand spiegelt. Dass dieses Sammelsurium an Szenen, Typen und Anekdoten über gut 80 Minuten trägt, muss man Felix Stienz hoch anrechnen. So konstruiert die Geschichte erzählt ist, so disparat die einzelnen Elemente wirken, so sympathisch und liebenswert sind sie als filmisches Ganzes. Dass man immer merkt, dass das Road-Movie wohl nur im Umkreis von Berlin gedreht wurde, ein Pariser Hinterhof deutlich als Berliner zu erkennen ist, macht gar nichts, im Gegenteil. Beschränkte Mittel sind zwar keine Qualität an sich, haben aber auch in diesem Fall die Filmemacher augenscheinlich zu besonderem Erfindungsreichtum getrieben. Aus wenig wurde in „Puppe, Icke & der Dicke“ dadurch sehr viel, ein Kleinod des deutschen Kinos, ungewöhnlich, sympathisch und sehr unterhaltsam.

Michael Meyns

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