Rang de Basanti – Die Farbe Safran

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Schon seit längerem integriert das Bollywood-Kino politische Themen in seine Melodramen, wie zuletzt „Amu“ oder „Veer-Zara“ zeigten. „Rang de Basanti“ - übersetzt „Die Farbe des Patriotismus“ -  gibt sich geradezu brachial politisch, indem es Partystudenten über Nacht in Bürgerrechtler und Attentäter verwandelt. Wenngleich es die überschäumend kitschige  Bollywood-Schiene nicht verlässt,  ist es ein ambitioniertes, gewagtes, aber auch sprunghaftes und heikles Drama im MTV-Stil zu der Musik von Indiens Filmmusik-König A.R. Rahman.

Webseite: www.rangdebasanti.net

Indien 2006
O: Rang de Basanti
R+B: Rakeysh Omprakash Mehra
D: Aamir Khan, Alice Patten, Soha Ali Khan, Siddarth, Sharman Joshi, Madhavan, Atul Kulkarni, Kunal Kapoor
M: A.R. Rahman
Format: 35 mm, OmdU
L: 160 Min.
Start: 29.6.2006

PRESSESTIMMEN:

Ein furioses Bollywood-Stilgemisch aus Liebesfilm, Actionkracher und Agitprop.
KulturSPIEGEL

Irritierendes Jugenddrama, dessen Darstellung einer Außenseiter-Jugendkultur zunächst eher schwach bleibt, sich dann aber doch zu einer Tragödie entwickelt, deren inszenatorischer Wucht man sich nur schwer entziehen kann. (O.m.d.U.)
film-dienst


FILMKRITIK:

Auch der Blickwinkel in dem knapp dreistündigen Epos ist besonders: Es ist der einer  jungen Engländerin, die in Neu Delhi das Tagebuch ihres Großvaters über die frühen indischen Unabhängigkeitskämpfer verfilmen möchte. Sue (Alice Patten, Tochter des letzten Hongkong-Gouvernours Chris Patten) spricht zum Erstaunen und zur Freude der Inder perfekt Hindi. Für Sue ist Indien „Liebe auf den ersten Blick“. Aber die Studenten um ihre Freundin Sonja (Soha Ali Khan), die die Rebellen in ihrem Film verkörpern, interessieren sich weniger für das Projekt als für ihre Parties, die fast die gesamte erste Hälfte des Filmes einnehmen: Tanzen am Strand, Übermütige Auto- und Motorradjagden durch die Nacht, Küsse unter startenden Flugzeugen auf einer Ruine nahe des Flughafens, Kampftrinken, schimpfende Mütter in Saris,  gute Laune aus großen Kannen und immer wieder Zeitlupen. Purer Hedonismus, wie ihn Musikvideos der 80er, 90er Jahre propagiert haben.

Keiner der Studenten glaubt an die Zukunft, schon gar nicht an die ihres Landes. Langzeitstudent DJ (Aamir Khan, „Lagaan - Es war einmal in Indien“, „The Rising“) erklärt sein Zaudern so: „An der Uni glauben alle, dass ich es weit bringen werde. Aber nach dem College werde ich ein Trottel wie alle anderen sein“. Aslam (Kunal Kapoor) liegt wegen seines Lebenswandels im Dauerkrieg mit seiner muslimischen Familie, Karan (Siddarth) flüchtet vor den Diskussionen mit seinem reichen Vater . Die Konflikte erfahren keine weitere Vertiefung, selbst die Auseinandersetzung mit dem rechtspolitischen Aktivisten Laxman (Atul Kulkarni), der die Hauptrolle in Sues Film übernehmen wird, löst sich schnell in Wohlgefallen auf.

Dank Sues Dokudrama  „The Young Guns of India“ fließen Gegenwart und Vergangenheit ständig ineinander. Hier die überdrehten Studenten in hektisch bunten Clips, dort die feierliche Revolution der Großväter in Sepiatönen: „Meine Gebete hören nicht auf, bis mein Land frei ist. Unsere Urenkel sollen in einem freien Land aufwachsen.“ Sätze, mit denen die Studenten wenig anfangen können. Bis Regisseur Rakeys Omprakash Mehra abrupt den Fokus ändert. Sonjas Verlobter Ajay, ein Militärpilot, der in den ersten 90 Minuten keine weitere Rolle spielte, stürzt ab. Der Verteidigungsminister bezeichnet ihn als „waghalsig“, obwohl Ajay durch ein selbstloses Ausweichmanöver starbund die Maschine defekt war (am Ende des Films verrät eine Texteinblendung, dass insgesamt 206 MIG 21-Kampfflieger in Indien abstürzten und mit ihnen 78 Piloten ihr Leben verloren). Ajays Freunde und Familie halten eine Mahnwache, die Polizei schlägt zu, Ajays Mutter fällt ins Koma. Die Freunde wittern Korruption und Verrat, nun wollen sie gegen „das System“ vorgehen - dies wohl auch deshalb so plötzlich, weil sie vorher ihrem Leben keinerlei Richtung gegeben hatten - und greifen zur Gewalt, die sie anschließend über eine Radioansprache rechtfertigen.

Dies gehört zu den vielen unerklärlichen Wandlungen des Films, wie auch schon der Film im Film, von Sue lediglich von einer Videokamera, ohne die Hilfe eines Filmteams aufgezeichnet, eine seltsame Perfektion aufweist.  Das politische Erwachen der Partystudenten endet blutig. Zu Anfang sagen sie „Unser Land ist ein Scheißhaus“ und am Ende: „Unser Land ist perfekt. Macht es perfekt, in dem ihr in die führenden Positionen kommt und unser Schicksal mitbestimmt.“

Dass sie nach zwei kaltblütigen Morden an einem Minister und einem der Väter als Helden dastehen, ihr Handeln als patriotisch ansehen und zudem diese Bilder zwischen die der indischen Revolutionäre aus den 20er Jahren geschnitten und somit auf eine Ebene gesetzt werden, ist höchst fragwürdig. Den sprunghaften Wendungen ist anzumerken, das Regisseur Rakeysh Oprakash Mehra über lange Zeit Musik- und Werbeclips produzierte. „Rang de Basanti“, sein zweiter Spielfilm nach dem experimentellen Mystery-Thriller „Aks“ (2001) will auf-Teufel-komm-raus ein neues politisches und soziales (Selbst-) Bewusstsein erzeugen, eine Abkehr vom Hedonismus zeigen. Ein hehres Anliegen, das in seiner trivialen Verkürzung ein paar Spuren hinter dem Ziel landet, in einer übergeschnappten Selbstgefälligkeit. Kalt lassen wird dieses Bollywoodspektakel jedoch keinen Zuschauer.

Dorothee Tackmann