Religulous

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US-Comedian und Talk-Show-Moderator Bill Maher hat die Religion als Zielscheibe allen Übels identifiziert. Zumindest glaubt er das, wie sein in „Religulous“ dokumentierter „Kreuzzug“ belegt. In zahlreichen Gesprächen führt Maher religiösen Würdenträgern, Gläubigen und Experten auf den Zahn. Immer unter dem Vorwand, nur Fragen zu stellen, verstricken sich seine Gesprächspartner nicht selten in abstruse Widersprüche. Das macht aus der im Michael-Moore-Stil gehaltenen Dokumentation eine bisweilen recht unterhaltsame Satire, bei der Polemik groß und Information klein geschrieben wird.

Webseite: www.centralfilm.de

USA 2008
Regie: Larry Charles
Drehbuch: Bill Maher
Produktion: Bill Maher, Jonah Smith, Palmer West
Laufzeit 100 Minuten
Kinostart: 2.4.2009
Verleih: Central

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

In den USA zählt Bill Maher zu den profiliertesten Talkshow-Moderatoren und Kabarettisten. Einem großen Publikum wurde er durch die inzwischen eingestellte Late-Night-Show „Politically Incorrect“ bekannt, aber auch als Stand-up-Comedian, Schriftsteller und Kommentator betätigte sich Maher in den vergangenen Jahren. Heute moderiert der Sohn einer jüdischen Mutter und eines katholischen Vaters die wöchentliche Talk-Show Real Time. Maher nimmt nur selten ein Blatt vor den Mund. Seine oftmals beißende Satire richtet sich sowohl gegen staatliche Institutionen als auch gegen Doppelmoral, Heuchlerei und religiösen Fanatismus. Überhaupt greift der bekennende Agnostiker nur zu gerne das Thema Religion auf – so auch in seiner aktuellen Kino-Dokumentation „Religulous“.
Darin begibt sich Maher auf eine globale Exkursion, die ihn ausgehend von seiner Heimat USA zu einigen der wichtigsten Orte der großen monotheistischen Weltreligionen führt. Er besucht den Vatikan, wo die Türen für ihn allerdings verschlossen bleiben, den Tempelberg in Jerusalem und die antike Stätte Megiddo, wo laut der Offenbarung des Johannes die endzeitliche Schlacht zwischen Gut und Böse stattfinden wird. Weitere Abstecher führen ihn nach Utah, der Hochburg des Mormonentums, Amsterdam und in den Freizeitpark „Holy Land“ bei Orlando. Überall verwickelt er seine Gesprächspartner, darunter viele geistliche Würdenträger und Gläubige, in teils kontroverse, teils entlarvende Diskussionen über die Bedeutung des Glaubens, Widersprüche zwischen Religion und Wissenschaft sowie religiöse Moralvorstellungen. Maher gibt sich dabei nicht mit einfachen Erklärungen zufrieden. Er hakt nach, widerspricht und kommentiert.

Unter der kreativen Leitung von „Borat“-Regisseur Larry Charles zielt Mahers entgegen aller Beteuerungen ganz und gar subjektiver „Kreuzzug“ vor allem auf Pointen. Die Interviews werden immer wieder von kurzen Einspielern oder Videoclips unterbrochen, die Mahers Gegenüber wahlweise als bigotten Frömmler oder reaktionären Fanatiker zu entlarven versuchen. Auf recht ähnliche Weise funktionieren die Filme eines Michael Moore. Wie dieser zeigt sich auch Maher nur selten offen für andere Meinungen, was schade ist, schließlich überraschen doch manche seiner Gesprächspartner wie der Leiter des Vatikan-Observatoriums Pater George Coyne oder der Vatikan-Vertreter Reginald Foster mit ihren aufgeklärten Ansichten. So spricht sich Foster entschieden gegen die von manchen Evangelikalen propagierte wörtliche Auslegung der Bibel mitsamt ihrer Evolutions-feindlichen Kreationismus-Lehre aus.

Für eine wirklich kritische wie informative Auseinandersetzung mit den sensiblen Themen Religion und Glauben eignet sich „Religulous“ aufgrund seiner Polemik nur sehr eingeschränkt. Der Film ist durch und durch Satire und fühlt sich als solche vornehmlich der Unterhaltung verpflichtet. Auf diesem Gebiet funktioniert er dann auch über weite Strecken recht ordentlich. Die Impressionen aus dem Freizeitpark „Holy Land“, wo mehrmals täglich das Leben Jesu als Musical Auferstehung feiert, sind an bizarrem Christen-Kitsch kaum zu überbieten. Zu den weiteren Höhepunkten zählt Mahers Unterhaltung mit einem „geläuterten“, ehemals schwulen Pfarrer, der fortan andere Homosexuelle mit Hilfe der Bibel auf den vermeintlich einzig rechten Pfad zurückführt (Leitmotto: „Homosexuality can change!“).

Zum Ende hin schlägt der Film zunehmend ernste Töne an. Die Menschheit, das ist Mahers feste Überzeugung, muss sich von Religion und Irrglauben emanzipieren. Ansonsten drohe die Welt in Chaos zu versinken. Religion sei gefährlich, weil sie uns Nonsens als unumstößliche Wahrheiten verkaufe und den Menschen nicht zur kritischen Reflexion erziehe. Wenn Maher diese Schlussworte spricht, scheint er sich seiner Sache sehr sicher zu sein. So sicher wie jene, die sich auf das Wort Gottes berufen.

Marcus Wessel

Religion ist ein Hilfskonstrukt, von der erhofften Gottgegebenheit einmal abgesehen weitgehend von den Menschen erdacht, die für ihre Existenz und für die Zeit nach dem irdischen Dasein einen Sinn suchen.

Religion bewirkt für Unzählige Großartiges – doch genauso gefährlich kann sie sein. Die Geschichte ist voll von Kriegen, Auswüchsen, Phantastereien, Lächerlichkeiten, von Gefährlichem und Bösem, alles auf Religionen zurückzuführen. Aber wie gesagt: Das Großartige, das Religionen hervorbringen, darf nie gering geschätzt oder vergessen werden.

Da haben sich zwei gefunden, die das Übertriebene, die Auswüchse der Religionen aufs Korn nehmen: Bill Maher und Larry Charles (bei uns spätestens durch „Borat“ sattsam bekannt geworden).

Alle kommen dran: die Juden, die Christen, die Muslime, die Scientologen, die Mormonen. Einer hält sich für Jesus persönlich, andere spielen in geradezu peinlicher Weise in Florida im Disney- und Musical-Stil Szenen aus dem Leben Jesu nach – Kreuzigung eingeschlossen. Gläubige Schwule und Fanatiker werden interviewt, Fundamentalisten auch, die die Genesis hochhalten und alle Evolutionstheorien verdammen. Manche verdienen sich an der Leichtgläubigkeit und Verführbarkeit der Menschen eine goldene Nase. Es fehlt auch nicht der Theologe aus dem Vatikan, der bestätigt, dass in der Bibel manches Abwegige stehe. 

Wie verhält es sich etwa mit der Tatsache, dass wesentliche biblische Mythen sich schon in Jahrhunderten vor dem Entstehen der Bibel in genau der gleichen Form und nur unter anderen Namen und Bezeichnungen abgespielt haben? Wo zum Beispiel Horus gleich Jesus ist?

An Kuriositäten, durch Filmausschnitte und Aussagen belegt, ist wie gesagt vor allem in den USA kein Mangel: durch kein Argument von ihrem Glaubensfanatismus abzubringende Lkw-Fahrer, die ihre eigene Kapelle haben; ein „Wissenschaftler“, der das Homosexuellen-Gen entdeckt haben will; ein jüdisches Institut, das moderne Geräte so umbaut, dass die 39 Sabbat-Gebote eingehalten werden können; Ex-Mormonen, die von ihrer Religion berichten, dass bestimmte „Tempelkleider“ vor Kugeln, vor dem Feuer oder vor dem Satan schützen und dass Tote getauft werden können; der, der sich für die Inkarnation von Jesus hält, damit Geld verdient und einen 2000-Dollar-Anzug  sowie Goldschmuck trägt; die Tatsache, dass von den Instanzen, die angerufen werden oder zu denen gebetet wird, Jesus an 6. Stelle steht.

Archivmaterial zuhauf gibt es zu Mahers Methode. Der Witz, das Kuriose, das Paradoxe dominieren. Manches wird auch um Mahers und seines intellektuell-spitzfindig-überlegen-ehrgeizig-spöttischen Spielchens willen auf die Spitze getrieben. Immerhin ist vieles messerscharf und skeptisch hinterfragt, was ohne Religion nichts und niemandem standhalten könnte.

Man kann, legt man einen kritischen Maßstab an, eine Menge erfahren, lernen. Vielleicht sogar die eigene Religion – soweit vorhanden – bewusster wahrnehmen und gegenüber manchem distanzierter werden. Sich in diesem Dokumentarfilm außerdem glänzend unterhalten.

Thomas Engel