Rote Sterne Überm Feld

Zahllose Debütfilme werden in Deutschland jedes Jahr gedreht, auch Laura Laabs „Rote Sterne überm Feld“ zählt dazu und ist doch anders, besonders, ambitionierter: Ein verwestes Skelett, das in der ostdeutschen Provinz gefunden wird ist Ausgangspunkt einer über mehrere Zeitebenen reichenden Spiel mit Verweisen und Bezügen, das auf komplexe Weise von der deutschen Vergangenheit und Zukunft erzählt.

 

Über den Film

Originaltitel

Rote Sterne Überm Feld

Deutscher Titel

Rote Sterne Überm Feld

Produktionsland

DEU

Filmdauer

133 min

Produktionsjahr

2025

Regisseur

Laabs, Laura

Verleih

farbfilm verleih GmbH

Starttermin

06.11.2025

 

Über dem Reichstag lässt die Aktivistin Tine (Hannah Ehrlichmann) rote Fahnen wehen. Zusammen mit einem Mitstreiter gelang es ihr, im Zentrum der deutschen Politik ein Zeichen zu setzen – und nun muss sie vor der Staatsmacht fliehen.

Sie fährt aufs Land, in die Provinz Mecklenburg-Vorpommers, nach Bad Kleinen. Dort wohnt ihr alter Vater Uwe in einem kleinen Häuschen, lässt das Leben an sich vorbeiziehen und hadert mit den Verwerfungen der Geschichte, die er im Lauf seiner Jahre miterleben musste.

Nicht weit von seinem Haus entfernt wird kurz darauf ein verwestes Skelett gefunden, dessen Herkunft Rätsel aufgibt. Liegt die Leiche schon seit Jahrzehnten oder erst seit wenigen Jahren im Boden? Stammt sie aus den Zeiten der DDR oder vielleicht sogar aus dem Zweiten Weltkrieg? Oder vielleicht aus den 90er Jahren, als im ehemaligen Zonenrandgebiet die Hoffnung auf blühende Landschaften langsam versiegte und stattdessen ein anderes Ereignis Schlagzeilen machte.

Bad Kleinen? 90er Jahre? Da war doch was? Richtig: Am 27. Juni 1993 stehen rund hundert Polizisten und Mitgliedern der Spezialeinheit GSG9 am kleinen Provinzbahnhof Bad Kleinen bereit, um zwei Mitglieder der Dritten Generation der Terrororganisation RAF zu verhaften. Der Einsatz geht schief, ein Polizist und der Terrorist Wolfgang Grams kommen ums Leben, ob Grams tatsächlich Selbstmord begangen hat, wie nach jahrelangen Untersuchungen offiziell erklärt wird, bleibt gerade in linken Kreisen umstritten. Vor allem aber gibt es Gerüchte um eine dritte Person, die angeblich oder möglicherweise anwesend war – und die nun in Laura Laabs „Rote Sterne überm Feld“ vielleicht als verwestes Skelett auftaucht.

Ein loses, mäanderndes, manchmal auch fragwürdiges Spiel mit der Geschichte spielt Laabs in ihrem erzählerisch wie stilistisch ambitionierten Debütfilm, der schwerelos durch die Zeit führt. Unterschiedliche Bildformate markieren die Ebenen, vom leicht ausgeblichenen, extremen Breitwand, in dem die 90er gezeigt werden, bis hin zum schwarz-weiß, dass die Ära des Zweiten Weltkriegs markiert führt die Reise, werden Hinweise gestreut, Verbindungen gezogen und über den „Engel der Geschichte“ sinniert. Ein Zitat aus einem der letzten Texte, in denen Walter Benjamin kurz vor seinem Tod über den Aufstieg des Faschismus nachdachte. Was wiederum einen Bezug zum neuen Extremismus herstellt, der sich auch im heimatlichen Dorf der Linken Tine Bahn bricht: „Unsere Dorfgemeinschaft: frei-sozial-national“ steht da übergroß auf einer Scheune, während Tattoos von Reichsadlern und Hakenkreuzen die Körper der Männer zieren, die selten ohne eine Flasche Bier in der Hand anzutreffen sind.

„Die Mitte ist der Rand der Gesellschaft“ heißt es da einmal, was genau daraus folgt bleibt jedoch offen. Um klare Antworten geht es Laura Laabs nicht, sie stellt Fragen, deutet an, wie verworrene und oft verwirrte Verschwörungserzählungen die Gehirne mancher Menschen zersetzen, spielt aber auch mit einer grenzwertig verklärten Sympathie für extreme Formen des Widerstands, deren Nähe zum Terrorismus oft groß erscheint. Nicht alles funktioniert in diesem Debüt, das zudem bisweilen überbordend und überlang wirkt, aber wann wenn nicht in einem Debüt sollte die Möglichkeit zum ambitionierten Exzess nicht ausgelebt werden?

 

Michael Meyns

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