Rubljovka – Straße zur Glückseligkeit

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Die Rubljovka, eine Landstraße, die Moskau mit den westlichen Vororten der russischen Hauptstadt verbindet, ist nur für manche Anlieger die Straße zur Glückseligkeit. Wie Irene Langemann in ihrem impressionistischen Dokumentarfilm zeigt, symbolisieren die Straße und ihre Bewohner die Entwicklung Russlands, vor allem aber das stetige auseinanderdriften von Alteingesessenen und Neureichen. Ein interessanter Einblick in einen Mikrokosmos des neuen Russlands.

Webseite: www.gmfilms.de

Deutschland 2007
Regie, Buch: Irene Langemann
Kamera: Maxim Tarasjugin
Schnitt Kawe Vakil
Musik: Michael Langemann
94 Minuten, Format 1:1,85
Verleih: GMfilms
Kinostart: 13. Dezember 2007

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Früher war sie eine beschauliche Landstraße, inzwischen patrouillieren Militär und diverse Sicherheitsdienste vor den mit hohen Mauern abgeschotteten Residenzen der Superreichen: Die Rubljovo-Uspenskoje Chaussee, kurz Rubljovka, eine 30 Kilometer lange Straße vom Zentrum Moskaus in die Vororte. Zwar hatten auch schon zu Sowjetzeiten die Mächtigen und vom Staat protegierten hier ihre Datschen, seitdem sich Russland in eine, sagen wir, sehr rustikale kapitalistische Autokratie gewandelt hat, bauen sich die Reichen und Mächtigen hier ihre Prachtvillen. Viele Millionen Euro teure „Prachtbauten“, wirre Stilmixe, die vor allem den Reichtum ihres Besitzers herausstellen sollen und in der Regel völlig frei von Stil sind.
Bewacht von Militär und Sicherheitskräften besteigen diese Neureichen dann ihre ausländischen Luxuslimousinen und lassen sich nach Moskau fahren, wo sie zum Beispiel anderen Reichen teuerste Pelze verkaufen oder auf weniger legalem Weg ihr Geld verdienen. Erstaunlicherweise ist es der in Russland geborenen Regisseurin Irene Langemann auch gelungen, Mitglieder der russischen Oberschicht vor die Kamera zu bekommen, die vollkommen ungeniert ihren Reichtum zur Schau stellen, vor allem aber eine bemerkenswerte Selbstverständlichkeit, diesen auch verdient zu haben. Unter den Protagonisten finden sich die schon angesprochene Pelzhändlerin, die junge Marusja, die das Geld ihrer Eltern ausgibt und auf der Suche nach einem Ehemann – möglichst aus dem Ausland – ist, aber auch Menschen, die nicht im Geld schwimmen. Die 70jährige Ljubov Jermilina etwa dürfte zu den ältesten Anwohnern der Straße gehören. Mit dem Verkauf von Brennholz und Besen bessert sie ihre karge Pension auf und hofft wohl darauf, dass niemand Interesse an ihrem Grundstück entwickelt. Denn den wenig zimperlichen Methoden der Interessenten haben durchschnittliche Bürger wenig entgegenzusetzen, zumindest nicht, wenn ihnen ihr Leben Lieb ist. Und dann ist da noch ein Architektenpaar und ihr unfassbar altkluger 12jährige Sohn, der den Verfall der Sitten beklagt, als hätte er schon zig Regime kommen und gehen sehen.

Aus all diesen Portraits versucht Langemann das Bild einer Gesellschaft zu entwickeln. Ihr Film folgt keiner klaren Linie sondern bemüht sich mit Momentaufnahmen, Beobachtungen von alltäglichem und weniger alltäglichem ein impressionistisches Bild zu entwerfen. Über weite Strecken ist ihr das auch gelungen, lässt „Rubljovka – Straße zur Glückseligkeit“ den Zuschauer tief in ein Land blicken über das vor allem in Klischees berichtet wird, die sich meist als noch untertrieben herausstellen. Und wenn dann, ganz am Ende des Films, das Autokorso des Präsidenten über die Straße jagt, hat man tatsächlich den Eindruck, dass die Zeit stehen bleibt, die Vögel aufhören zu zwitschern und eine dunkle Macht auf der Straße vorbeirast, die nur für manche der Weg zum Glück ist.

Michael Meyns

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Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion vor 18 Jahren, der Michail Gorbatschow angelastet wird, der indessen unvermeidlich war, ging es mit Russland bergab. Putin, der sich fast für so etwas wie einen zweiten Napoleon zu halten scheint, will dem Land unter allen Umständen wieder Weltgeltung verschaffen. Etwas davon zeigt dieser Film.

Westlich von Moskau liegt eine schöne Landschaft, die Rubljovka. Schon in früheren Zeiten wohnten dort die Bonzen, Molotow etwa oder auch Stalin und viele andere. Heute siedeln sich dort die Menschen an, die im halbdemokratischen System des Landes rasch zu Kapitalisten wurden. Millionen Dollar kosten die Grundstücke in der erbarmungslos abgeholzten Waldlandschaft, zu Dutzenden werden Villen erstellt, eine teurer und kitschiger als die andere. Der Zutritt wird strengstens kontrolliert, Sicherheitskräfte und Polizisten gibt es en masse.

Natürlich leben dort auch noch Personen und Familien, die von alters her da wohnten. Man  ersucht sie zu vertreiben oder steckt einfach ihre Häuser und Hütten in Brand. Nur die vermeintliche Oberschicht soll sich dort aufhalten dürfen, die Zobelmäntel trägt, die sich porträtieren lässt, die teuersten Schmuck kauft, die Investitions- und Immobiliengeschäfte betreibt, die reich ist, die mit dem normalen Volk nichts zu tun haben will, die sich dekadent gibt.

Irene Langemann hat die Rubljovka filmisch erfasst: die Reichen, die Armen, die Profiteure, die Verlierer, die für die Bonzen freigehaltenen Straßen, das allgemeine Rubljovka-Milieu, ein durchaus interessantes Bild dieses örtlichen Brennpunktes und des heutigen Russland überhaupt.

Das politische Geplapper eines Zwölfjährigen hätte man sich dabei allerdings sparen können. Doch steht auf der anderen Seite das Verdienst der Regisseurin, die unendliche Schwierigkeiten hatte, diesen Film schließlich zustande zu bringen. (Besonders schön die zufällige und überraschende Begegnung des – inzwischen verstorbenen – berühmten Cellisten Rostropowitsch mit der Verwandten des von ihm verehrten Komponisten Schostakowitsch.)

Thomas Engel