St. Jacques – Pilgern auf französisch

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In die  Ferne ziehen, um  Heimat und Seele zu überarbeiten: Ein Jahr ehe Hape Kerkeling der Leserwelt vorführte, wie es ist, „dann mal weg“ zu sein, schickte die preisgekrönte französische Autorenfilmerin Coline Serreau („3 Männer und ein Baby“) drei zerstrittene Geschwister auf den Jakobsweg und landete (bereits 2005) einen Wohlfühlfilm voller Schwung, Humor und Phantasie.

Webseite: www.schwarzweiss-filmverleih.de

F 2005
O: Saint Jacques... La Mecque
Regie und Buch: Coline Serreau
Darsteller: Muriel Robin, Artus De Penguern, Jean-Pierre Darroussin, Pascal Légitimus, Marie Bunel, Marie Kremer, Flore Vannier-Moreau, Aymen Saidi, Nicolas Cazalé
Länge: 110 Min., Format: 1:1,85
Kinostart. 6. September 2007
Verleih: Schwarzweiss/Central

PRESSESTIMMEN:

 

...ist das sehr unterhaltsame, seltsam punktgenaue und dabei traum(a)tiefe Protokoll einer Fußwanderung wider Willen. Je unwegsamer das Gelände desto feiner der Witz.
Der Tagesspiegel Berlin

Man lernt, wie schön das einfache Leben und was wirklich wichtig ist... Bei Serreau, und das macht den besonderen Charme ihrer Filme aus, dürfen die Außenseiter sich treu bleiben und ihre Identität behalten.
taz

...eine Erweckungsgeschichte für Agnostiker ... Dabei gleitet der Film nie ins Kitschige ab – dafür sorgt allein der messerscharfe Wortwitz. SAINT JACUQES ist eine berückend schöne Komödie der leisen Töne und das vielleicht langsamste Roadmovie aller Zeiten.
Münchner Merkur

Die Regisseurin hat die Landschaftsaufnahmen mit so großem poetischen Gespür in Szene gesetzt, dass man sich schon im Kino die Wanderstiefel anziehen möchte.
Münchner Abendzeitung

Ein amüsanter, unsentimentaler und zärtlicher Ensemblefilm.
Der Spiegel

So leicht wie anrührend, mit viel Herz und Liebe zum Detail inszeniert.
Brigitte

Eine irrwitzige Komödie... Die Komik driftet nie in Klamauk ab, nicht zuletzt wegen eingefügter Traumsequenzen, spitzzüngigen Dialogen und bestens ausgewählten Schauspielern.
Blickpunkt:Film

Eine tragikomische Abhandlung über die innere Reise zu sich selbst.
filmecho

Presseschau unter film-zeit.de hier...


FILMKRITIK:

Pilger sind im ursprünglichen Sinne Fremdlinge, die zwecks Buße oder Heilung einen mythenbehafteten Ort ansteuern. Insofern passt es ganz gut, dass drei zwar nicht religiöse, aber abgrundtief miteinander vergnatterte Geschwister gemeinsam den Jakobsweg beschreiten. So verlangt es das Testament der Mutter, um ihr Erbe antreten zu dürfen. Da ist die bärbeißige Clara (Muriel Robin), Lehrerin auf dem Lande und Alleinversorgerin ihrer vierköpfigen Familie. Dann der neurotisch überdrehte Geschäftsführer Pierre (Artus de Penguern), eine zappelige Louis-de-Funès-Figur mit einer apathischen alkoholkranken Frau zuhause. Ganz das Gegenteil von seinem Bruder Claude (Jean-Pierre Darroussin), einem  Nichtstuer, der sich „Alkoholiker auf Sozialhilfe“ nennt.
 

 

 

Auch wenn sich die drei der Obhut einer Gruppe anschließen, ist ein hohes Nervpotential garantiert. Am ersten Treffpunkt erscheint Claude im Taxi - „Kann mir jemand 210 Euro leihen?“ - dafür ohne jegliches Gepäck. Die übrigen Pilger sind nicht nur mit ihren schweren Rucksäcken überfordert: der muslimische Junge Ramzi (Aymen Saidi, er wurde für den César nominiert) entwendete seiner kranken Mutter Geld, um, wie er glaubt, nach Mekka zu pilgern. Sein Freund  Said (Nicolas Cazalé) begleitet ihn, vor allem um seine Mitschülerin Camille zu erobern, die ebenfalls den Weg geht. Mathilde (Marie Bunel) hat gerade eine schwere Krankheit überstanden, der  Gruppenführer Guy wird von seiner Frau betrogen. Es scheint eine Klassenreise für neun Erwachsene zu werden.

Insider sagen ja über  Wanderer auf dem Jakobsweg nur kurz und bedächtig:„Sie gehen.“
Hier müsste es heißen: Sie gehen öfters ab. Es ist eine offene Reise voller Plagen, Phantasien und Albträume, die mit Spezialeffekten in die wunderschöne Landschaft  projeziert werden. Ängste und Hoffnungen nehmen überlebensgroße Gestalt an.

So tappt zum Beispiel Pierre im Schlafanzug durch eine Kuhherde, ein andermal ertrinkt seine Frau in einem Riesenglas. Seine Schwester Clara sieht sich von menschengrößen Vögeln umgeben, Mathilde in einem Feld voller Krankenbetten mit Glatzköpfigen, der Analphabet Ramzi unter einen riesigen Buchstaben „A“ begraben.

Auf der Strecke - die hier erstaunlich wenig Pilger aufweist - müssen Regennächte in Klassenzimmern mit laut Schnarchenden überstanden, Aufschneider zurechtgestutzt, Aufgebende zum Weiterwandern motiviert, Ramzi das Lesen beigebracht, zwei Liebesgeschichten gelebt, ein Todesfall überwunden und überflüssige Gepäckutensilien entsorgt werden. Und ganz langsam tun sich Horizonte der privaten Weltverbesserung auf.

Der Jakobsweg wird mit seinen idyllischen Stationen und stimmungsvollen Wegabschnitten zur Projektionsfläche und zum Prüfstand für Produkte und Verhaltensweisen der Zivilisation. Normale Menschen suchen den Ausnahmezustand, geben ihre Hektik der Lächerlichkeit preis, kommen aus dem Tritt und Trott, um dann ihr Leben umkrempeln. Wie „Brot und Tulpen“ liefert  „Saint Jacques“ insbesondere für die Midlife-Crisis-Gebeutelten ein Feel-Good-Movie.

Coline Serreau, die  derzeit eine amerikanische Version ihres vorletzten Films „Chaos“ mit Meryl Streep dreht, beweist  wieder ihren Sinn für Nachdenklichkeit, Skurrilität, Ästhetik und Harmonie. Aber wann finden diese EU-Bildungskomissions-kompatiblen Titel endlich ein Ende? „Pilgern auf Französisch“ hechelt im Wortlaut ähnlich wie „Schwedisch für Fortgeschrittene“ der Erfolgskomödie „Italienisch für Anfänger“ hinterher. Offensichtlich steckt hier hinter nicht die Generation Praktikum, sondern die ältere Generation Fortbildung. „Saint Jacques“ hat einen derart vertrottelten Untertitel nicht verdient.

Dorothee Tackmann

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Der Jakobsweg, von vielen Orten Europas nach Santiago de Compostela in Nordspanien an das Grab des heiligen Apostels Jakobus führend, ist wieder, und zwar mehr als früher, in vieler Munde. Für die einen der Pilger ist es eine Bittwallfahrt, für die anderen eine Dankwallfahrt, manche machen die Tour aus Frömmigkeit, für wieder andere handelt es sich um eine reine Wanderung mit Freunden.

Vielleicht hat Hape Kerkelings äußerst erfolgreicher Bericht mit dem Titel „Ich bin dann mal weg“ den Jakobsweg ebenfalls wieder stärker ins Gespräch gebracht. Doch unabhängig davon inszenierte die französische Regisseurin Coline Serreau über das Thema eine Komödie, die sich durchaus sehen lassen kann.

Den drei Geschwistern Clara, Claude und Pierre stirbt die Mutter weg. Clara arbeitet als Lehrerin, der eine der beiden Brüder ist Unternehmer, der andere „Alkoholiker mit Sozialhilfe“. Riechen können sich die drei nicht besonders gut, Streitereien sind an der Tagesordnung.

Das Testament der Mutter führt sie zusammen. Darin steht nämlich, dass die drei eine erkleckliche Summe und ein Haus nur dann erben, wenn sie zu dritt zu Fuß nach Santiago pilgern. Zuerst ist der Widerstand groß, doch es nützt alles nichts, sie müssen die Pilgerfahrt unternehmen, denn andernfalls geht das Erbe an eine wohltätige Stiftung.

Sie schließen sich einer Gruppe an. Der Reiseführer ist dabei, zwei junge Muslime auch und noch ein paar andere. Neun sind es im Ganzen.

In Le Puy in Frankreich geht es los. Auf drei Monate ist der Fußmarsch angesetzt: durch steinige Landschaften, über hohe Berge. Tag um Tag. Die Nachtunterkünfte sind alles andere als bequem, Zwischenfälle gibt es genug. Aber auch erhebende Momente, erquickliche Ruhepausen, viele Gespräche, entstehende Freundschaften, ein langsam wachsendes Zusammengehörigkeitsgefühl.

Die Kathedrale von Santiago wird nach vielen Tagen erreicht. Andacht und herrliche Musik umhüllen die Gruppe. Ist aus ihr eine Gemeinschaft geworden?

Coline Serreau hat schön die Balance gehalten zwischen Komik und Ernst, zwischen täglichen Schwierigkeiten und menschlichem Verstehen, zwischen Gesprächen und stiller Wanderung, zwischen auseinanderstrebenden Charakteren und großem, letztlich beglückendem Ziel. So stark die Differenzen anfangs waren, am Schluss zählt nur noch eines . . .

Die teils geistreichen Dialoge und die guten Darsteller spielen beim Gelingen des Ganzen keine geringe Rolle.

Eine heiter-komische, aber auch eine fromm-ernste Wallfahrt einer zunächst bunt zusammen gewürfelten Gruppe von Menschen nach Santiago de Compostela. Unterhaltung und ein wenig Besinnung in einem.

Thomas Engel