Standard Operation Procedure

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Oscar-Preisträger Errol Morris („Fog of War“), widmet sich in seiner neuen Dokumentation dem Folterskandal im irakischen US-Gefängnis von Abu Ghraib. Die Bilder der gedemütigten, nackten Gefangenen samt der Siegerposen der Aufpasser sind aus den Nachrichten bekannt. Morris lässt nun die Täter zu Wort kommen. Und blickt dabei in die Abgründe: Der nette Mensch von nebenan: Ein Monster! Formal famos in Cinemascope gedreht – der wichtigste politische Film des Jahres, der auf der Berlinale nicht umsonst den Großen Preis der Jury bekam.

Webseite: www.sonypictures.de

USA 2008
Regie: Errol Morris
Darsteller: Dokumentarfilm
Kamera: Robert Chappell, Robert Richardson
Schnitt: Andy Grieve
Verleih: Sony
Kinostart: N.N.
118 Minuten, Cinemascope

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Was sind das für Menschen, diese Folterer in Uniform? Was waren die Motive? Warum haben sie ihre widerlichen Verbrechen auch noch so stolz fotografiert. Abgründe der menschlichen Seele tun sich auf, wenn die Soldatinnen fast freundlich vor der Kamera erzählen, dass sie sich als Frauen in Uniform beweisen wollten. Dass sie als Liebesbeweis dazu getrieben wurden. Dass es eben einfach die Befehle waren, die sie als Soldaten ausgeführt haben. 

Regisseur Errol Morris will wissen, was im Jahr 2003 in diesem irakischen Gefängnis geschah, wie dieser Skandal geschehen konnte, der die Welt erschütterte. Für seine filmische Spurensuche hat er zwei Jahre lang akribisch recherchiert. Er sichtete Hunderte jener Bilder, die bei den Misshandlungen aufgenommen, er führte endlose Gespräche im Vorfeld und bekam nicht nur etliche der unteren Dienstgrade vor die Kamera, sondern sogar eine Generalin und den Militärankläger. Zwischen diese Aussagen montiert Morris die echten Folter-Aufnahmen, die teilweise sogar als Videos existieren, er zeigt die Briefe der Täter nach Hause und er stellt etliche der Misshandlungen nach, etwa wie Hunde auf die Gefangenen gehetzt werden. 

Ohne große Reue oder Rührung schildert des Teufels Personal die damaligen Ereignisse. Bis auf Charles Graner, der zu zehn Jahren Haft verurteilt wurde, bekam Morris die Beteiligten vor die Kamera. Lynndie England, die auf einem der Bilder einen Gefangenen mit Hundeleine vorführt, war zu jener Zeit gerade erst 20 geworden und erklärt ihr Grinsen und den nach oben gestreckten OK-Daumen auf den Aufnahmen damit, dass „man doch immer lacht, wenn man fotografiert wird“. Wenn auf einem anderen, privaten Erinnerungsbild Lynndie England beim Spielen mit ihrem Kätzchen gezeigt wird und dazu die süße Musik des „Simpsons“-Komponisten Danny Elfman läuft, bekommt der Schrecken über die Perversion einen Gänsehautfaktor der ganz unheimlichen Art. 

Gespenstisch folgen die Kommentare des Militäranklägers: Vieles, was auf den Fotos zu sehen ist, mag man gemeinhin als Misshandlung empfinden, juristisch sei das jedoch nur als die titelgebende „Standard Procedure Operation“ einzustufen, das Standardverfahren von verschärften Verhören. Bestraft wurden die Verurteilten deshalb meist wegen Banalitäten, etwa das Fotografieren eines Toten – derweil der Foltermord selbst ungesühnt bleibt. Als normale Vorgehensweise gelten Schlafentzug, Anketten sowie das Androhen von Elektroschocks – wie beim berühmtesten der Abu Ghraib-Bilder, bei dem der Gefangene mit Kapuze auf einer Kiste steht und die Arme von sich streckt, und Kabel halten muss, die vermeintlich an Strom angeschlossen sind.

Ist die Werbefilm-Ästhetik des langjährigen Werbefilmers Morris bei einer Dokumentation zulässig? Spricht der Schrecken der echten Bilder nicht für sich? Muss man mit nachgestellten Szenen fletschender Hunde oder beißender Ameisen noch nachhelfen? - so fragten machen Genre-Puristen aufgeregt und werfen dem Film die Vermischung von Fakten und Fiktion vor. Aber anders als Michael Moore manipuliert Morris sein Publikum nur in stilistischen Grenzen. Dass er bei seinem Feldzug für die Wahrheit eine wahre Armada cineastischer Mittel einsetzt, von Cinemascope in 35 mm über den Soundtrack bis zur Zeitlupe, ist durchaus legitim. Denn Morris verzichtet auf Polemik. Er bleibt teilnehmender Beobachter mit exzellenter Interview-Technik: Der nette Mensch von nebenan: Ein Monster! Dabei geraten die Zusammenhänge nie aus dem Blickfeld: Die Folter war kein Betriebsunfall, sondern systematische Politik der US-Militärs. Verurteilt wurden nur die einfachen Dienstgrade.  

Dieter Oßwald

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Der Name Abu Ghraib ist wie ein Menetekel, das Amerika kaum mehr loswerden dürfte. Abu Ghraib das ist das Riesengefängnis in Bagdad, in dem bereits Saddam Hussein Tausende unterbrachte und umbrachte und in dem seit dem Sturz Saddams ebenfalls hunderte Iraker gefangen gehalten wurden: Schuldige, Unschuldige, Soldaten, Zivilisten, Kinder. Es herrschte 2003 noch Kriegszustand. Abu Ghraib wurde beschossen. Dass unter diesen Umständen nicht alles ordnungsgemäß und gerecht zuging, mag man verstehen.

Aber was im Oktober 2003 dort geschah, ist nie und nimmer zu vergessen. Zu diesem Zeitpunkt bannten ein paar der Bewacher, Sergeants und rangmäßig darunter, Männer wie Frauen, die oft nackten Gefangenen während der Vernehmungen und der damit verbundenen autorisierten (!) Folter auf Fotos, posierten dabei, lachten und scherzten, delektierten sich in sadistischer Weise am Leid dieser Männer. Was diesbezüglich in Errol Morris’ Film zu sehen ist, ist unsagbar.

Über zwei Stunden geht das so: Fotos, Videos, Dokumente, Interviews, Berichte, Analysen, Beichten. Folter, sogar Tod, aber eben zum größten Teil als „Standard Operating Procedure“ geltend, also als normales Vernehmungsverfahren. Das Schlimme an der Sache: Von ganz oben kam die unausweichliche Anordnung „Macht alles, absolut alles, aber schafft Saddam herbei.“ Die niedrigrangigen Bewacher waren demnach nicht an allem schuld. Entsprechend suchen sie sich in dem Film herauszureden. Nicht allein schuld, zugegeben, aber dennoch schuldig. Sieben von ihnen wurden zu mehreren Jahren Haft verurteilt, der Hauptsadist zu zehn Jahren.

Unzählige Fotos wurden befehlsgemäß vernichtet. Doch die Fotos aus dem Herbst 2003 legen Zeugnis ab. Man muss sich zudem vorstellen, dass die Misshandlungen nicht auf die Zeit beschränkt waren, aus der noch Fotomaterial vorhanden ist.

Dass die Aufforderung, die härtesten Methoden anzuwenden, von ganz oben, also auch aus Washington, kam, sollte nicht vergessen werden. Insofern ist ein großer Teil der amerikanischen Integrität und des amerikanischen Rufes in Frage gestellt.

Ein minutiöses, schier unglaubliches, erschütterndes Dokument.

Thomas Engel