Stiller Sommer

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Ein paar sommerliche Tage in Frankreich, in denen ein Paar, dessen Ehe kurz vorm Scheitern stand, doch noch einmal die Kurve bekommt, davon erzählt Nana Neul in ihrem Film „Stiller Sommer“. Komplett still ist dabei für gut die Hälfte des Films Dagmar Manzel, deren Sprachlosigkeit den schwierigen und oft schmerzhaften Weg der Selbsterkenntnis in Gang setzt.

Webseite: www.zorrofilm.de

Deutschland 2013
Regie, Buch: Nana Neul
Darsteller: Dagmar Manzel, Ernst Stötzner, Marie Rosa Tietjen, Arthur Igual, Victoria Trauttmansdorff
Länge: 88 Minuten
Verleih: Zorro Film
Kinostart: 10. April 2014

FILMKRITIK:

Hals über Kopf ist Kristine (Dagmar Manzel) aus Deutschland verschwunden und zum ersten Mal seit Jahren in das Haus der Familie in Südfrankreich gefahren. Meist ist das Anwesen in einem kleinen, malerischen Dorf in den Bergen vermietet gewesen. Zu viel zu tun hatten Kristine und ihr Mann Herbert (Ernst Stötzner), zu viele Erinnerungen waren mit dem Dorf und seinen Bewohnern verbunden, Erinnerungen, die zu Geheimnissen wurden, die die Ehe zunehmend belasteten.

Im Haus trifft Kristina auf ihre Tochter Anna (Marie Rosa Tietjen), die in den Semesterferien zu Besuch ist und sich mit dem Franzosen Franck (Arthur Igual) vergnügt, der bald auch Interesse an der Mutter zeigt. Schnell findet sich Kristina im freien Leben des Dorfes ein, das für Aussteiger aus Deutschland, Holland und Frankreich wie ein Experiment im Hippie-Leben funktioniert, dass inzwischen aber etwas in die Jahre gekommen ist. Zumal auch das Konzept der freien Liebe schnell aufhört Spaß zu machen, wenn Liebe ins Spiel kommt. Barbara (Victoria Trauttmansdorff) etwa, eine alte Freundin von Kristina, hatte sich jahrelang einen Mann mit Claire geteilt, doch nun heiratet der Mann die Konkurrentin und Barbara bleibt allein zurück, getröstet nur von Wein und Joints.

Beziehungen, die in der zeitlich begrenzten Dauer eines Urlaubs einer Prüfung unterzogen werden, Probleme, die durch plötzliche Nähe und viel Zeit aus dem Dunklen ans Licht kommen. Immer wieder hat das Kino dieses Muster benutzt, um von Beziehungen zu erzählen. Im deutschen Kino waren es in den letzten Jahren zum Beispiel Maren Ade mit „Alle Anderen“ oder Nicolas Wackerbarths „Halbschatten“, um nur einige zu nennen, die ihre Figuren im Süden Europas, im malerischen Äußeren, mit inneren Untiefen konfrontiert haben.

Überraschendster Dreh von Nana Neuls Film, der lose auf Erlebnis ihrer eigenen Familie beruht, ist die krankheitsbedingte Sprachlosigkeit der Hauptfigur. Nicht reden zu können, wenn reden vonnöten wäre, keine Fragen beantworten zu können, aber auch keine Kommentare abzugeben, die eine Situation noch verschlimmern könnten, daraus zieht „Stiller Sommer“ lange seine Spannung. Ganz langsam baut Neul ein Figurengeflecht auf, deutet Verbindungen und Konflikte an, die plötzlich zusammenfallen: Dann nämlich, als sich die Erzählperspektive ändert und statt aus Kristinas plötzlich aus Herberts Blick erzählt wird.

Wenn man nun bestimmte Szenen aus seiner Sicht sieht, den Anfang einer kurzen Meinungsverschiedenheit etwa, von der Kristina nur das Ende mitbekommen hatte, bekommen Geschichte und Figuren plötzlich eine ganz andere Bedeutung. War vorher das bisweilen merkwürdige Verhalten Herberts kaum verständlich, begreift man nun seine Sicht der Dinge, seine ganz eigenen Probleme. So wird „Stiller Sommer“ schließlich zu einem Film, der ein Paar zeigt, das weder voneinander lassen kann, noch unbekümmert miteinander leben kann. Nach 20, 25 Jahren der Ehe hat sich soviel angestaut, dass die Unbeschwertheit des Anfangs auch nach ein paar Tagen im malerischen Südfrankreich nicht einfach zurückkommen kann.

Michael Meyns