Stoned

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1969 ertrank Brian Jones, der tablettensüchtige Gründer der „Rolling Stones“, im eigenen Swimmungpool. Einfach so? 1993 gestand sein ehemaliger Architekt auf dem Sterbebett, Jones ermordet zu haben. Aus diesem Geständnis formt Produzent  Stephen Woolley („Breakfast on Pluto“, „Little Voice“) in seinem Regiedebüt ein Rachedrama antiker Güte. Überbordend an Dekadenz, feindseligen Schleppenträgern und falschen Freunden. Verlegt in einen „So-toll-trieben-es die-alten-Rockstars“-Themenpark. Als stringente, grotesk-psychedelische Herr-und-Diener-Geschichte fällt „Stoned“ aus der Ansammlung der glattbügelnden Biopics heraus.

Webseite: www.stoned-film.de

GB 2005
R: Stephen Woolley
B: Neal Purvis, Robert Wade
D: Leo Gregory, Paddy Considine, David Morrissey, Tuva Novotny, Amelia Warner, Monet Mazur
M: David Arnold
K: John Mathieson
L: 102 Min.
Verleih: 3Rosen, Vertrieb: Warner Bros.
Start: 15. Juni 2006

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Obwohl ihr 62jähriger Gitarrist Keith Richard kürzlich von einer fünf Meter hohen Palme stürzte, starten die Rolling Stones im Juni ihre nächste Europa-Tournee. Angesichts der Unverwüstlichkeit der „dienstältesten Rockband der Welt“ liegt es nahe, einen  Blick in deren Anfangszeiten zu werfen. Stephen Woolley entfaltet schon in den ersten Sekunden seines Films ein Bildergewitter aus Sex, Drugs und Rockn‘ Roll. Hinzu kommt das Schlachten einer Ziege, Gruppensex, Flötenspieler in Marrakesch und Unterwasserszenen. Momentaufnahmen, die sofort schockgefroren werden. Die Kamera rotiert im Vollrausch. Bloß nichts auslassen.

Aus den schüchternen Anfängen von Brian Jones im Bubikopf-Ambiente von London-Chelsea anno 1963 wechselt die Geschichte sehr schnell in liebliches, urig-englisches Landhausambiente (es ist das ehemalige Landhaus von A.A. Milne, dem Erfinder von „Pu, der Bär“) mit allen zu erwartenden Ingredienzen: Oldtimer, Büroleiter mit dicken Brillen, biestige Tippsen in Miniröcken, Rockstars in offenen Bademänteln, Kerzen um runde Badewannen. Der schnoddrige Manager (David Morrissey) diktiert die Richtung: „Wenn die Beatles Christus sind, seid ihr der Antichrist“.

Der talentierte, drogensüchtige, asthmatische, androgyne Brian Jones (Leo Gregory) wirkt in seinen weißen Pelzen und Fummeln, mit laszivem Hüftschwung und Augenaufschlug unter einer nervtötend künstlichen Pagenkopf-Perücke wie „Der Kleine Lord“ auf Extasy. Aufgeputscht hüpft er durch die Pu-der-Bär-Landschaft: „Ich bin Brian, die ganze Welt kennt mich doch!“

Für den angepassten Architekten Frank Thorogood (Paddy Considine) muss das alles die reinste Vorhölle sein. Er ist die hochempfindliche Projektionsfläche für das ganze Brimborium der tollen, neuen Rockstar-Welt. Wie nachvollziehbar er die Wechselbäder der Anziehung und des Abgestossenseins durchlebt, macht die Qualität dieses Films aus. Eigentlich soll Frank das Haus renovieren, stattdessen lässt ihn Jones Gartenmauern aufbauen und wieder abreißen und lotst ihn in die Welt der „freien Liebe“, um ihn daraus wieder zu verstossen. Thorogood wird an seinem neuen Arbeitsplatz zur Maus, zum Sklaven, zum Narren. Aber nicht nur bei ihm staut sich Wut auf, auch bei der Band (die Darsteller von Mick Jagger und Keith Richard sehen ihren Alter Egos verblüffend ähnlich, wirken aber wie Chorknaben), dem Manager, den Freundinnen. Je mehr Jones verstossen wird, um so mehr spielt er mit Thorogood, das kann ja nicht gut gehen.

Über die Musiken von Brian Jones und deren Zustandekommen erfährt man leider viel zu wenig, allenfalls etwas über seine Inspirationsquellen. Kunst und Tiefe der Rockmusik finden hier nur einen geringen Niederschlag. Stephen Woolley liefert stattdessen eine extrabreite Darstellung eines banalen, lebensüberdrüssigen Rockmusiker-Alltags: „Die Sechziger Jahre waren bestimmt von Naivität, Optimismus und einer Jugend, die vom Establishment abgeschliffen wurde und schließlich in Selbstzerstörung endete.“ Auf diese Weise führt er plausibel vor (wie auch schon „Der Tag, an dem Bobby Ewing starb“), dass ein dick aufgetragener Freakismus oft nur als Make-Up diente, um Selbstherrlichkeit, Chauvinismus und elitäres Denken zu kaschieren.

Dorothee Tackmann