Strände von Agnès, Die

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Mit 80 Jahren noch einen Film zu drehen wäre allein schon bemerkenswert, einen solch herausragenden umso mehr. Agnès Varda „Großmutter“ der Nouvelle Vaque zieht in ihrem wunderbaren neuen Film Bilanz eines langen, ereignisreichen Lebens. „Die Strände von Agnès“ sind Autobiographie, Hommage ans Kino und an die Liebe, also auf zwei Stunden das komprimiert, was Varda in ihrer langen Karriere immer wieder thematisiert hat.

Webseite: www.filmkinotext.de

Frankreich 2008
Regie: Agnès Varda
Drehbuch: Agnès Varda
Dokumentation
Verleih: Filmkinotext
Kinostart: 10. September 2009
110 Minuten
 

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Ihren ersten Film „La Pointe Courte“ drehte Agnès Varda Mitte der 50er Jahre. Seitdem sind rund 40 Filme hinzugekommen, viele kurze und mittellange, etliche abendfüllende; Dokumentarfilme, Essayfilme und einige wenige reine Spielfilme. Meistens aber verwischt Varda die Formen des dokumentarischen und fiktiven und war nicht nur darin ihrer Zeit weit voraus. Von Anfang an produzierte sie ihre Filme selbst, hatte also stets das letzte Wort, den Final Cut. Für ihre Arbeitsweise erfand sie den Begriff „Cinecriture“, der eine Verwandtschaft zur Literatur verrät, vor allem aber anzeigt, dass Varda die in jeder Hinsicht alleinige Autorin ihrer Filme ist. Vielleicht kann man diesen Begriff auch noch weiterführen und sagen, dass sie fast immer auch Subjekt ihrer Filme ist. Teilweise ist der autobiographische Ansatz offenkundig, manchmal offenbart er sich nur bei genauer Kenntnis von Vardas Biographie. Ihr jüngster Film ist unmittelbare Autobiographie, ein Abriss ihrer langen, illustren Karriere, darüber hinaus aber – wie so oft bei Varda – auch eine Reflektion über das Vergehen der Zeit, die Vergänglichkeit allen Lebens, und über die Subjektivität des photographischen Bildes.

Der Film beginnt an einem Strand, auf dem zahlreiche Spiegel aufgebaut sind, die in vielfältigen Reflektionen Varda und ihre junge Crew zeigen. Der Blick auf sich selbst, auf das eigene Tun, die eigenen Ansichten zieht sich durch Vardas Arbeit, was manchmal als Narzissmus ausgelegt wurde, viel mehr jedoch als Teil einer Ethik erscheint. Egal wen sie mit ihrer Kamera beobachtet hat, egal ob berühmte Schauspieler oder Herumtreiber, egal ob sie scheinbar Schönes oder angeblich Hässliches filmte, Vardas Blick war immer offen und von einer kindlichen Neugier geprägt. Vor allem aber ohne Vorurteil, ohne sich über den Gegenstand ihrer Neugier zu erheben.

Grob folgt „Die Strände von Agnès“ ihrer Karriere, ihrem Leben. Von ersten fotographischen arbeiten in Sète, wo die Familie nach dem zweiten Weltkrieg lebte, erste Filme, die sie zu einem Teil der Nouvelle Vague machten (sie vergisst nicht einen kurzen Auftritt von Jean-Luc Godard in einem Film im Film zu erwähnen, bei dem Godard wohl zum einzigen Mal in den 60er Jahren seine Sonnenbrille abnahm), ihre Liebe zu Jacques Demy, mit dem sie bis zu dessen Tod 1990 zusammenlebte. Mit Demy ging sie nach Amerika, wo beide kein Glück hatten. In den 70ern kam Vardas immer schon vorhandener Feminismus an die Oberfläche, sie engagierte sich für die Rechte der Frauen, war Teil der „Ich habe abgetrieben“-Kampagne, die das Recht auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper erkämpfte.

Derweil sah sie ihren Sohn Mathieu auf der Leinwand aufwachsen. Schon als Steppke gab sie ihm Rollen, mit15 küsste er Jane Birkin auf der Leinwand und ist nun ihre größte Erinnerung an Jacques Demy. Dass vor allem bleibt am Ende einer melancholischen, aber doch fröhlichen Reise durch ein langes Leben: Vardas große Liebe zu Demy, die höchstens, aber auch nur vielleicht, von ihrer Liebe fürs Kino übertroffen wird.

Michael Meyns