Auf Demi Moore folgt Lea Myren: Nachdem Erstere in Coralie Fargeats Body-Horror-Drama „The Substance“ (2024) als aufs Abstellgleis beförderte Ex-Filmdiva brillierte, trumpft Letztere in „The Ugly Stepsister“ als junge Frau auf, die sich von ihrem Umfeld nach zweifelhaften Schönheitsidealen formen lässt. Emilie Blichfeldts starkes Spielfilmdebüt ist eine garstige, mit makabrem Humor versehene Neuinterpretation der Aschenputtel-Geschichte aus anderer Perspektive, die patriarchale Unterdrückungsstrukturen ebenso aufs Korn nimmt wie einen gefährlichen körperlichen Optimierungswahn.
Über den Film
Originaltitel
Den stygge stesøsteren
Deutscher Titel
The Ugly Stepsister
Produktionsland
NOR
Filmdauer
105 min
Produktionsjahr
2025
Regisseur
Blichfeldt, Emilie
Verleih
capelight pictures OHG
Starttermin
05.06.2025
Alles soll besser werden, als Rebekka (Ane Dahl Torp) Otto (Ralph Carlsson) heiratet und mit ihren Töchtern Elvira (Lea Myren) und Alma (Flo Fagerli) bei ihm einzieht. Doch schon am Hochzeitsabend stirbt der Bräutigam bei Tisch. Mehr noch: Nach seinem Tod wird klar, dass er entgegen Rebekkas Vermutungen nahezu mittellos ist. Statt eine Beerdigung in die Wege zu leiten, lässt die neue Frau des Haues seinen Leichnam verrotten und versteift sich fortan auf ein anderes Projekt: Elvira soll beim anstehenden Ball den feschen Prinzen Julian (Isac Calmroth) beeindrucken und die Zukunft der Familie über eine Vermählung mit dem Adeligen retten.
Den Plänen im Weg steht jedoch Ottos hübsche Tochter Agnes (Thea Sofie Loch Næss), die nach dem Tod ihres Vaters von ihrer Stiefmutter gegängelt wird. Kurzerhand vereinbart Rebekka für Elvira mehrere Schönheitseingriffe bei Dr. Esthétique (Adam Lundgren), der einen alles andere als seriösen Eindruck macht. Die junge Frau lässt die Qualen der Operationen dennoch über sich ergehen. Immerhin gilt es, ihre Existenz zu sichern. Und ohnehin träumt sie schon lange davon, mit Julian anzubandeln.
Emilie Blichfeldt verortet ihre Aschenputtel-Variation in einem fiktiven Reich namens Swedlandia, das in seiner Gestaltung unwirklich und erdig-rau zugleich erscheint. Die Bilder erinnern teils an die Ästhetik klassischer osteuropäischer Märchenfilme. Immer wieder, etwa in Elviras rosafarbigen Tagträumen, kippt das Ganze aber auch ins Surreale. Eine seltsam aus der Welt gefallene Stimmung haftet manchen Szenen, vor allem zu Beginn, nicht zuletzt dank einer flirrenden Musikuntermalung an, die ein wenig an Peter Weirs Mystery-Film „Picknick am Valentinstag“ (1975) denken lässt.
Das Spiel mit Zitaten und Anspielungen beherrscht die Debütregisseurin souverän. Wer gut hinhört, wird an einer Stelle die ikonische Melodie aus dem Weihnachtsklassiker „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ (1973) erkennen, die in „The Ugly Stepsister“ allerdings auf unheimliche Weise verfremdet wird. Wenig verwunderlich, will der Film doch keine Wohlfühlmärchenatmosphäre heraufbeschwören, sondern anecken und dorthin schauen, wo es wirklich wehtut.
In groben Zügen folgt der Plot der bekannten Geschichte der Brüder Grimm, die Disney auch in seinem Animationsstreifen „Cinderella“ (1950) in abgeschwächter Form erzählt. Kitschige Schwärmereien oder festgefahrene Rollenbilder, wie sie eben dort transportiert werden, zertrümmert und unterläuft Blichfeldt aber konsequent. Elvira lebt in einer unerbittlichen, patriarchal geprägten Klassengesellschaft, in der nicht nur Männer wie der schon früh als Sexist entlarvte Prinz junge Frauen zu Objekten degradieren. Auch Rebekka hat die misogynen Strukturen vollauf verinnerlicht und gibt sie an ihre Tochter weiter.
Elvira selbst glaubt lange Zeit, sie sei nur dann etwas wert, wenn sie sich an gängige Schönheitsideale anpassen würde. Wer eine solche Sicht ständig vorgelebt bekommt, in einem System aufwächst, das Abweichungen sofort sanktioniert, hat es schwer, einen gesunden Blick auf sich und seinen Körper zu entwickeln. Der ständige Erwartungs- und Optimierungsdruck, dem die Protagonistin ausgesetzt ist, verweist auf die heutigen Tendenzen in den sozialen Medien, wo sich gerade junge Menschen oft darin überbieten, im bestmöglichen Licht dazustehen.
Die toxischen Muster der Objektivierung treibt die Regisseurin in einigen wahrlich unbehaglichen Horrorszenen auf die Spitze. „The Ugly Stepsister“ wirft nicht mit Splatter-Bildern um sich. Hier und da gibt es aber Momente, die selbst hartgesottene Zuschauer auf den Magen schlagen könnten. Ein Beispiel: Bei einer Wimpern-OP ratscht der Faden, gefilmt aus nächster Nähe, deutlich hörbar durch das Augenlid der panischen Elvira. Nur logisch ist übrigens auch, dass Blichfeldts Gruselvision, anders als Disneys „Cinderella“, gegen Ende die Grimms beim Wort nimmt. Nur so viel sei gesagt: „Rucke di guh, rucke di guh, Blut ist im Schuh!“
„The Ugly Stepsister“ verpasst dem Aschenputtel-Mythos einen erfrischend ungeschönten Anstrich, ist gerade für einen Debütfilm bemerkenswert versiert in Szene gesetzt und bietet zahlreiche Denk- und Diskussionsanstöße. Bedauern kann man nach 109 aufwühlenden Minuten allerdings eins: Elviras als queer gezeichnete Schwester Alma fliegt etwas unter dem Radar, hätte angesichts ihrer durchaus wichtigen Rolle im Finale ein wenig mehr Entfaltungsraum erhalten können.
Christopher Diekhaus