Bevor Autos und später Flugzeuge immer wichtiger wurden, bestimmten Züge den Transport von Gütern und Menschen, von Reisenden, aber auch von Soldaten, Deportierten und Toten. In seinem experimentellen Dokumentarfilm „Trains“ arbeitet der polnische Regisseur Maciej J. Drygas ausschließlich mit Archivmaterial von Zügen und allem, was mit ihnen zu tun hat, das er mit ominöser Musik unterlegt und zu einer Kollage über die Dynamik und Zerstörung der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts formt.
Über den Film
Originaltitel
Trains
Deutscher Titel
Trains
Produktionsland
POL
Filmdauer
81 min
Produktionsjahr
2024
Regisseur
Drygas, Maciej J.
Verleih
déjà-vu film
Starttermin
02.10.2025
Das Rad, Geld oder die Schrift, in der Gegenwart das Internet: Das wären gute Antworten auf die Frage nach der einflussreichsten Erfindung der Menschheit. Eine andere Möglichkeit wäre die Dampfmaschine, ohne die die industrielle Revolution nicht möglich gewesen wäre, die später dann auch zu radikalen Verkürzungen der Entfernungen führte, was wiederum den Kapitalismus und die Globalisierung antrieb.
In den ersten Bildern von „Trains“, einem ausschließlich aus schwarz-weißem Archivmaterial zusammengestellten Film, sind Aufnahmen von der Herstellung einer Form der Dampfmaschine zu sehen, in diesem Fall einer Lok, deren massive Teile von Arbeitern in einer Fabrik verschweißt werden, die auf riesige Nieten einhämmern, mehr als mannshohe Räder verarbeiten.
Aus dem frühen 19. Jahrhundert stammen diese Bilder, als der Glaube an den Fortschritt noch groß war, aber auch der Glaube an die Stärke der eigenen Nation, der bald zunehmend zersetzend wirkte. Ein paar Aufnahmen von Reisenden, die die neue Technik zu Urlaubsreisen nutzen und fasziniert von den vorbeirasenden Landschaften sind, deuten die anderen Möglichkeiten des Transportes an, die bald von düsteren Bildern abgelöst werden: Massen von Soldaten werden in die Schlachten des Ersten Weltkrieges transportiert, Waffen werden an die Front gefahren, auch ganz auf Waggons befestigte Geschütze. In die andere Richtung geht es dann für die Verwundeten, Verkrüppelten oder Toten.
Jahrelang haben Maciej J. Drygas und seine Mitarbeiter in dutzenden Archiven recherchiert, haben Material aus dem Bundesarchiv, dem British Film Institute, der italienischen Cinecittà und Filmarchiven in Belgien, Österreich, Finnland, Frankreich, den Niederlanden und anderen Ländern zusammengetragen und zu einem Bilderfluss montiert, der ohne Kommentar vom Leben und Sterben in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erzählt. Unterlegt wurden die Bilder mit expressiver, meist düsterer Musik von Paweł Szymański und einem manchmal etwas zu markantem Sounddesign von Saulius Urbanavicius, das die meist stummen Bilder mit einzelnen Geräuschen zum Leben erweckt.
Spezifische Orte und Länder lassen sich anhand von Werbetafeln oder Zeitungen erahnen, meist evoziert Drygas jedoch bewusst ein vereintes Europa, das durch zwei Weltkriege verbunden ist. Pointiert setzt er Bilder bekannter Persönlichkeiten gegenüber: Charlie Chaplin, der im Zug durch Europa fährt und bejubelt wird, Adolf Hitler, der ebenfalls im Zug reist und ebenso bejubelt wird.
Assoziativ erzählen solche Aufnahmen von Zügen und Gleisen, von der Freude, die mit dem Zugfahren, dem Entdecken neuer Regionen verbunden ist und dann dem Schrecken, das mit Zügen transportiert wurde.
Aufnahmen von den Zügen, mit denen Deportierte aus ganz Europa in die nationalsozialistischen Vernichtungslager transportiert wurden gibt es nicht, die Nazis wussten um die Macht der Bilder und verhinderten meist Aufnahmen dieser Transporte. Doch die Folgen sind zu sehen, Leichenberge nach der Befreiung, kaum noch Lebende, die in Zügen in die Heimat transportiert werden und allzu oft auf dem Weg doch noch starben.
Schwer zu ertragende Bilder sind das bisweilen, die Drygas für sich stehen lässt, so wie alle anderen Aufnahmen, die von den Weltkriegen in Europa erzählen. Und am Ende ein wenig hoffnungsvoll in die Zukunft blicken, in die die schier endlosen Gleisstränge führen.
Michael Meyns