unbekannte Soldat, Der

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Kaum eine Ausstellung der letzten Jahre löste einen derartigen Aufruhr aus wie die über die „Verbrechen der Wehrmacht - Dimensionen des Vernichtungskriegs 1941-1944“. Michael Verhoeven („Die Weiße Rose“, „Mutters Courage“) suchte nun die Orte der Massenhinrichungen auf, er befragte Historiker, ehemalige Soldaten, überlebende Opfer, Augenzeugen und heutige Demonstranten. Seine in ihrem Faktenreichreichtum und ihrer Vielstimmigkeit erschütternde und anstrengende Dokumentation liefert zum einen weitere  Belege für den Vernichtungskrieg im Osten und zeigt zum anderen die weiterhin verhärteten Diskussionsfronten.

Webseite: www.derunbekanntesoldat.kinowelt.de

Deutschland 2004/2005
Regie + Buch + Produktion: Michael Verhoeven
Mit: Hannes Heer, Hans Mommsen, Bogdan Musial, Dieter Pohl, Jörg Friedrich, Ulrike Jureit, Wolfgang Wippermann, Rudolf Mössner u.v.a.
Länge: 96 Min.
Verleih: Kinowelt
Start: 21. September

PRESSESTIMMEN:

Dokumentarfilm als Nachtrag zu den beiden Wehrmachtsausstellungen, die in den Jahren 1996 und 2002 für kontroverse Diskussionen sorgten. Er lässt Betroffene zu Wort kommen und nutzt seine eigene Argumentationskette, um engagiert und überzeugend auf die Verbrechen der Wehrmacht und ihre Handlangerdienste für ein Unrechtsregime aufmerksam zu machen.
film-dienst

Filme wie etwa "Die weiße Rose" (1982), "Das schreckliche Mädchen" (1990) oder "Mutters Courage" (1995) sind unter Michael Verhoevens Regie entstanden. Filme also, die sich der Beschäftigung, der Beleuchtung von Historischem verschrieben haben. Auch Verhoevens jüngste Arbeit, der Dokumentarfilm "Der unbekannte Soldat", widmet sich dem Sujet der kritischen historischen Aufarbeitung, des filmischen Rückerinnerns, des Nicht-Vergessens, des unangenehmen Mahnens. Michael Verhoeven greift die Ausstellung "Verbrechen der Wehrmacht" als Ausgangspunkt auf, jene Wanderschau, die den Vernichtungskrieg im Osten der Jahre 1941-44 thematisierte und für äußerst kontroverse Reaktionen bei Publikum und Kritik sorgte.
Das Resultat ist ein 100-minütiger Dokumentarfilm, der allein schon ob der Ambivalenz seines Themas unangenehm ist, nicht gefällig gefallen mag, der aneckt, der für Reibungsstoff, für Kontroversen sorgt, vielleicht für Anfeindungen gar. Und einem selbst die unliebsame Frage mit auf den Weg gibt, für wen oder was eigentlich der deutsche Soldat - retrospektiv betrachtet - ureigentlich gekämpft respektive überhaupt gestanden hat. Die Unmittelbarkeit und Authentizität und Wucht von Michael Verhoevens Doku - deren Stärke weniger in der konventionellen Visualität und hier eben angebrachten Form liegt, als vielmehr in der kritisch-fundierten Art der Themen-Behandlung - lässt einen die Antwort nur erahnen wollen.
Bayerischer Rundfunk

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FILMKRITIK:

Eine historische Ausstellung  soll dokumentiert werden, von der es auch noch zwei Fassungen (von 1995 und eine Überarbeitung von 2001) gab, zudem die Publikumsreaktionen auf diese Ausstellungen, die Stimmen von Historikern und Augenzeugen sowie historische Filmmaterialien. Wie kann dieses riesige Anliegen in 90 Minuten behandelt werden?  Michael Verhoevens zwei zentrale Fragen : „ War der deutsche Ostfeldzug von vorneherein oder ab einem bestimmten Punkt ein Feldzug gegen die jüdische Bevölkerung?“ „War die deutsche Wehrmacht in diese Strategie von Beginn an einbezogen?“  drohen hier unterzugehen.
Zunächst sind die demonstrierenden Ausstellunggegner, meistens von der NPD, mit Transparenten wie: „Unsere Großväter waren keine Verbrecher“ zu sehen. Von ihnen kommen gar keine oder polemische Stellungnahmen. Als einziger äußert sich Christian Worch, Mitglied der „Freien Kameradschaften“, im Interview: „Der Versuch aus einer ganzen Generation eine Bande von Verbrechern zu machen, ist eine Unsäglichkeit.“ Ein gemäßigteres Statement kommt von Klaus von Dohnanyi: „Wenn man immer nur die Erinnerung an die Verbrechen in den Mittelpunkt stellt, dann glaube ich nicht, dass man den Menschen hilft, die Zukunft zu finden.“

Rudolf Mössner, ehemaliger Wehrmachtssoldat, Jahrgang 1916, hatte damals als einer der Wenigen „Mein Kampf“ gelesen: „Alles, was er gemacht hat, stand drin“. Zu der Ausstellung selbst sagte er: „Hier stimmt alles“.

Der Historiker Dirk Rugenow betont, dass der Mord an den Juden eben auch außerhalb der Konzentrationslager stattfand. „40 Prozent wurden auf archaische Weise umgebracht“.
So in der Schlucht von Babi Yar, die heute, auch dies ist erschreckend, eine zartgrüne Hügellandschaft ist. Hier wurden innerhalb von vier Tagen 35.000 Menschen ermordet. „Ich wiederhole es: Die Wehrmacht hat die Verbrechen der Nationalsozialisten erst ermöglicht“, sagt Paul Spiegel, der ehemalige Vorsitzende des Zentralrats der Juden. Zur Soldatenpflicht gehört es  aber, keine Zivilisten zu töten. Der Historiker Dieter Pohl nennt drei  Motivationen für die Hinrichtungen von jüdischen Zivilisten: den generellen Antisemitismus, den angeblichen jüdischen Bolschewismus und die Gleichsetzung von Juden mit Partisanen.

Zur Möglichkeit der Befehlsverweigerung sagt  der Historiker Hannes Heer, der die am „Hamburger Institut für Sozialforschung“ entstandene Ausstellung bis zu ihrer Überarbeitung 1999 leitete und der in Verhoevens Dokumentation auch den Großteil der Redezeiten einnimmt: „Tatsache ist, es gibt keine kriegsgerichtlichen Belege, dass irgendein Verfahren gegen einen Befehlsverweigerer durchgeführt wurde.“ Aber gab es in einem totalitären Regime nicht noch weitere, unauffälligere Repressalien außer dem Kriegsgericht? Hier wurde leider nicht weiter gefragt.

Stattdessen werden viele kurze Statements, darunter Augenzeugen aus Minsk und Tarnopol, schnell aneinandergeschnitten. Als  nicht unbedingt einleuchtende Zäsuren dienen immer wieder Soldaten im Stechschritt, ein Männerchor und eine Percussiongruppe .Hinzu kommen Aufzeichnungen von Progromen, außerdem  Einblendungen aus den Filmen „Jidl mit‘n Fidl“ und „Jüdisches Leben in Lemberg“ aus den 1930er Jahren, sowie aus einem antisemitischen Hetzfilm.

So entsteht eine kaum gegliederte Stimmen- und Faktensammlung, die vor allem die Perspektive der ersten Wehrmachtsausstellung aufgreift und die inhaltlich und quantitativ das Aufnahmevermögen übersteigt. Verhoeven will sich weder als Dokumentarist noch als Historiker, sondern als Filmemacher verstanden wissen, der dem Betrachter Raum für die eigene Schlüsse lässt. Sicherlich wird auch diese Dokumentation wieder heftige Debatten auslösen.

Dorothee Tackmann