Unplugged:Leben Guaia Guaia

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Hinter dem ungewöhnlichen Titel verbirgt sich die vielleicht beste deutsche Doku des Jahres: Sobo Swobodnik porträtiert per Handkamera das außergewöhnliche Straßenmusiker-Duo Guaia Guaia. Die beiden Anfang-Zwanzigjährigen Elias und Luis verbinden Troubadour-Kultur mit Gesellschaftskritik, beatlastige Block-Party mit Punk-Gitarren und Anti-Konsum-Haltung mit Do-it-yourself-Mentalität. Alles garniert mit einem Schuss Anarchie und jede Menge positiver Vibes, spiegelt der Film den Freiheitsgedanken zweier junger alternativer Künstler, die permanent durchs Land reisen und unterwegs in Fußgängerzonen, Privatpartys oder Straßenkreuzungen die Zuschauer und Passanten begeistern.

Webseite: www.unpluggedleben.wfilm.de

Deutschland 2013
Regie: Sobo Swobodnik
Länge: 90 Minuten
Verleih: W-Film
Start: 11.7.2013

PRESSESTIMMEN:

"Mit Videoclip-artigen Sequenzen und animierten Szenen angereichert, lebt der Film vor allem vom Charisma seiner Figuren, verklärt allerdings auch etwas deren Aussteigertum."
film-dienst

FILMKRITIK:

„Das Leben ist doch viel zu schön. Warum soll ich nur in meiner Wohnung herumhocken? Ich bin lieber unterwegs“, sagt Luis. Er und sein Kumpel Elias sind vor ein paar Jahren noch in Neubrandenburg zur Schule gegangen, doch an der Ödnis fast zugrunde gegangen. Die beiden mussten raus. Ihr eigenes Ding machen. Und konsequenter wie Guia Guia kann man es wohl kaum in die Tat umsetzen. Als mobile Straßenmusikband tingeln die beiden permanent durchs Land und fahren immer dorthin, wohin der Wind sie trägt. Heute Berlin, morgen Düsseldorf. Auch im beschaulichen Oberammergau machen sie Halt. Ihr Equipment transportieren sie in zwei umgebauten Mülltonnen oder in Einkaufswagen. Luxus gibt es nicht. Duschen auch nicht. Sie nennen sich selbst „Nobel-Penner“.

Regisseur Sobo Swobodnik hat die beiden Bohemians für ein paar Monate begleitet und versucht, einen Hauch ihrer Vision einzufangen: Positive Energie unter die Leute bringen, Dinge reflektieren und vor allem – andere Wege gehen. Er zeigt die beiden, wie sie nachts auf der Suche nach einem Schlafplatz in einen abgestellten DB-Zug klettern, sich in Gebirgsbächen waschen oder ihre neuen Klamotten aus Altkleider-Containern fischen. Am Berliner Ostkreuz richten sie sich sogar in einem verlassenen Schaffnerhäuschen ihr Winterlager ein und zapfen sich heimlich Strom bei Verteilerkästen für S-Bahnen. Irgendwann werden sie entdeckt und müssen die Butze räumen. Egal, einfach das nächste leerstehende Haus suchen.

Doch Swobodniks Film ist nicht nur Bandporträt, sondern vor allem eine Beschreibung eines radikal alternativen Lebensstils. Mit großer Lebensfreude und Leichtigkeit praktizieren Elias und Luis ihre Antithese zum gesellschaftlich verordneten Image junger Deutscher, die sich heutzutage zwischen Schule, Studium, Facebook, Job und verschiedenen Style-Codierungen bewähren müssen. Guaia Guaia entsagen sich all dem komplett. Die beiden haben weder Schulabschluss, noch Krankenversicherung, Bankkonto, festen Wohnsitz oder sonstige Sicherheiten. „Viele junge Leute in unserem Alter stehen auch vor der Frage: Setze ich mehr auf Sicherheit oder mache ich, was ich will?“ Guaia Guaia wählen die extreme Variante ohne Netz und doppelten Boden.

Seine stärksten Momente hat der Film, wenn die Kontraste zweier verschiedener Lebensentwürfe aufeinanderprallen: Auf der Suche nach einem Schlafplatz kommen Luis und Elias unverhofft bei den Eltern einer Konzertbesucherin unter – dem schmucken Einfamilienhaus mit Whirlpool im Garten. „Hier bleiben wir jetzt den ganzen Tag drin“, scherzen die beide. Echte Fremdscham verspürt man, als sie in Essen auf einen 17-jährigen Schmusebarden in schmierigem Look und schräger Gesangsmelodie treffen, der es bei „Deutschland sucht den Superstar“ nicht gepackt hat. Er ist der personifizierte Träumer, der sich nach schnellem Ruhm in einer sterilen Glitzerwelt sehnt. Guaia Guaia schauen ihn erstaunt an und scheinen sich zu fragen, wie man nur so naiv sein kann. Wo sie eigentlich schlafen werden, wissen sie da noch gar nicht. Keine Panik. Wir sind jung und haben kein Geld – aber es wird sich schon war ergeben.

David Siems