Weisse mit dem Schwarzbrot, Der

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Was treibt Christof Wackernagel, Filmschauspieler und ehemaliges RAF-Mitglied, in Afrika? Er strömt über vor Ideen, Wut und neuen Ansätzen. Beobachtet hat ihn der 25-jährige Filmstudent Jonas Grosch. Sein anteilnehmendes  und ironisches Porträt entlarvt  einen Generationentypus voller Ideale und Widersprüche und führt nebenher einen Kulturenclash vor.

Webseite: www.der-weisse-mit-dem-schwarzbrot.de

Dokumentation. Deutschland 2007
Regie: Jonas Grosch
Kamera: Miriam Troescher
Verleih: MMM Film Verleih/24 Bilder
Format: digital
Länge: 73 Min.
Start: 12. Juni 2008

PRESSESTIMMEN:

...auf film-zeit.de


FILMKRITIK:

Die Methode hat sich inzwischen bewährt: Man nimmt ein Urgestein aus der 68er-Bewegung und beschreibt es  mit dem Abstand mindestens einer Generation. Weil die Jüngeren von den Macken und Attitüden jener Zeit unbelastet sind, ist eine gewisse Unverfrorenheit garantiert.  So ließ  Marcel Wehn in seiner  Abschlussarbeit für die Filmakademie  Wim Wenders lange vor der Kamera nachdenken. Moritz Rinke vergaß respektloserweise das Manuskript der  Zadek-Autobiographie im Zug, und beschreibt in seiner Rezension, wie er einem Bahnhofsvorsteher auseinandersetzt, wer der große Theatermann ist.  
Jetzt schaut der Schauspieler Christof Wackernagel in die Digitalkameralinse des  30 Jahre jüngeren Jonas Grosch. Wackernagel geriet 1977 als RAF-Mitglied in eine Schießerei mit der holländischen Polizei und saß 7 Jahre im Gefängnis. Danach trat in er kleineren Rollen in TV- und Kinofilmen auf, veröffentlichte Bücher und Dramen. Seit einigen Jahren lebt er in Malis Hauptstadt Barmako und sorgt dort mit immer neuen Ideen für Freude und Verwirrung.

Sein „Plastikspiel“, in dem Kinder um die Wette Müll einsammeln, wurde gut aufgenomen. Aber sein Projekt einer Vollkornbäckerei vor Ort scheiterte nach einem Jahr, es fehlte an Genehmigungen. Wackernagel erzählt dies während er die Wände seines Hauses mit abstrakten Figuren bemalt und regt sich auf bis sein Turban wackelt. Das „Kulturprojekt Friedenskarawane“ mit 200 Künstlern quer durch Nordafrika wurde bisher noch nicht umgesetzt. Auch sein Vorschlag, allen Diplomaten statt Dienstwagen öffentliche Taxis zuzuteilen, um so eine Nähe zum Volk Malis herzustellen, fand bisher keinen Anklang.

Grosch beobachtet Wackernagel, wie er, der selbst ein durch Mauern abgegrenztes Haus besitzt, durchs Slum schlendert: „Es ist dreckig, hat aber eine gute Atmosphäre. Es macht gute Laune, ich weiß nicht warum.“ Dann greift er zum Handy.

Später steht er in Landestracht vor einem Rednerpult auf einer Anhöhe am Rande der Großstadt Bamako und trägt aus einem mit übergroßen Seiten opulent gefüllten Leitzordner einige seiner Geschichten vor. Dazu gestikuliert er ausladend wie ein Priester auf der Kanzel. Er weiß ja: „Das Allergeilste ist, Ideen Wirklichkeit werden zu lassen.“

Der ortsansässige, junge Musiker Madou Coulibaly wundert sich über seinen deutschen Freund: „Er möchte wie ein Afrikaner leben, aber das ist nicht so einfach.“ Wackernagel begleitet ihn auf der Gitarre. Gemeinsam geben sie Konzerte auf der Straße. „Ich weiß nicht, was ich mit meinem Leben anfangen soll“ lautet der Titel von Madous eingängigem Lied, das immer wieder ertönt.

Wackernagel blickt zurück in seine Vergangenheit. 1977 stand er vor der Frage: „Hollywood oder RAF?“ Er erzählt, wie er seinen Gefängnisalltag so mit Aktivitäten vollstopfte, dass er in Zeitnot geriet. Wie der holländische Polizist, der ihn verhaftet hatte, ihm Blumen schickte. Jonas Grosch lässt ihn reden, stellt keine peinlichen Fragen, lässt Wackernagel sich selbst inszenieren, blendet manchmal einfach Musik über eine Suada oder kommentiert durch sarkastische Schnitte. So geraten einige Szenen zur Farce.

Einmal zeigt er, wie Wackernagel versucht, in seinem leeren Hausschwimmbad ein Hühnerküken zu fangen. Zwischendrin berichtet er von seiner Verhaftung - dies immer mit einem Grinsen. Am Ende schmeißt er der Henne das Küken zu: „Pass doch selber auf dein Kind auf, du blöde Kuh!“  Ein „Sponti“ durch und durch. Ein Kapitän in seiner Badewanne. Ein quicklebendiger Widerspruch.

Dorothee Tackmann

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Ein sehr individuelles, charakteristisches Lebensbild von Christof Wackernagel. Man erinnert sich vielleicht noch. Er war einst Schauspieler („Tätowierung“), entschied sich dann in den 70er Jahren für die RAF, wurde wegen einer Schießerei des versuchten Mordes angeklagt und saß etwa zehn Jahre im Gefängnis. Unter dem Ruf, der ihm aus dieser Zeit anhaftet, hat er immer noch und zwar entscheidend zu leiden. Und doch ist er heute längst vom Terroristen zum Idealisten geworden. 

Dieser Dokumentarfilm zeigt ihn in Mali. Dorthin hat er sich 2003 zum Schreiben zurückgezogen. Er berichtet von seiner RAF-Zeit – äußerst störend und vielleicht auch typisch, dass er dabei ständig grinst -, von der Art und Weise, wie er vom Saulus zum Paulus wurde, von seinen Utopien, beispielsweise wie er den Einheimischen deutsches Vollkornbrot bringen und beibringen wollte oder von dem Plan, eine aus 200 Künstlern
bestehende „Kulturkarawane“ für 100 Millionen Euro durch die Welt ziehen zu lassen. 

Wackernagel ist auch – die Betonung liegt auf „auch“ – ein Paradiesvogel. Vieles von dem, was er erzählt, ist Spintisiererei, kindlich, idealistisch. Und doch stimmt auch vieles: seine sozialen Anklagen; das, was er über Malis Baumwollproduktion und –ausfuhr erzählt; oder die allgemeingültige Erkenntnis, wie sinnlos es ist, afrikanischen und überhaupt fremden Stämmen und Nationen europäisch-amerikanisches, „kolonialistisches“ Bewusstsein aufdrücken zu wollen. Näher kommt man diesen Völkern nur, wenn man sich einfühlt und sich ihnen angleicht.

Der Film sei subjektiv im besten Sinne, heißt es in einer Jury-Begründung. Das ist genau richtig. Er ist die schillernde Lebensbeschreibung eines Utopisten und obwohl von einem Europäer und Afrikanern handelnd das Gegenteil von Schwarz-weiß-Malerei.

Thomas Engel