Wer schön sein will, muss reisen

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Gemeinsam mit dem Regisseur René Schöttler machte sich die aus der RTL-Show „Einsatz in vier Wänden“ bekannte Tine Wittler auf nach Mauretanien, wo sie mit ihrem beleibten Körper ganz dem lokalen Schönheitsideal entspricht. Auf ihrer Reise versucht sie Antworten auf Fragen wie die Entstehung von Schönheitsidealen zu bekommen und taucht in die schwierige Welt der Frauen in dem muslimischen Land ein.

Webseite: mussreisen.de

Deutschland 2013
Regie: René Schöttler
Buch: Tine Wittler
Dokumentation
Länge: 93 Minuten
Verleih: déjà-vu film
Kinostart: 26. September 2013

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

„In Deutschland entspreche ich nicht den Schönheitsidealen.“ Ganz unverblümt beginnt Tine Wittler über sich zu erzählen und erklärt, warum sie sich ausgerechnet in den westafrikanischen Staat Mauretanien aufgemacht hat, um über die Frage nachzudenken, was schön ist. Zusammen mit dem Regisseur René Schöttler flog sie in den muslimischen Staat, in dem Frauen nach ganz anderen Maßstäben beurteilt werden als in Deutschland.

Nicht dünn und schlank sollen Frauen in Mauretanien sein, sondern möglichst dick. Erst ein voller Körper zeigt die ganze Schönheit der Frau, bestätigen etliche Männer, was in dem von Bürgerkrieg, Militärdiktatur und vor allem Armut geplagten Land geradezu pervers wirkt: Wo viele Menschen kaum genug zum Essen haben, werden je nach finanziellen Möglichkeit junge Mädchen einer „gavage“ genannten Zwangsmästung unterzogen. Literweise Kamelmilch müssen die Mädchen trinken, besonders fettes Fleisch essen, werden mit Folterähnlichen Methoden „schön“ gemacht. Dass in dem islamischen Land zudem Polygamie herrscht, der Mann mehrere Frauen haben darf, die Rechte der Frauen zutiefst beschnitten sind, muss kaum erwähnt werden.

In dieses Umfeld wagt sich nun mit Tine Wittler, eine Frau, die jahrelang die RTL-Show „Einsatz in vier Wänden“ moderierte, wo sie Menschen bei der Verschönerung ihrer Wohnungen beriet. Die unverblümte Art mit der sie in dieser Sendung agierte, tritt auch in Mauretanien zu Tage, wo sich Wittler zwar in ein traditionelle Gewand hüllt, ansonsten aber durch und durch ein Fremdkörper bleibt. Mit Hilfe einer einheimischen Übersetzerin lernt sie Frauen kennen, die von ihren Erfahrungen berichten, aber auch Männer, die von ihren Vorstellungen erzählen.

Dass fördert immer wieder interessante Aspekte zu Tage, etwa wenn von der langsamen Veränderung des Schönheitsideals berichtet wird, dass sich nicht zuletzt durch den Einfluss des Internet zunehmend westlichen Idealen annährt. Wenn Wittler mauretanischen Frauen da einmal Fotos schlanker bis dürrer westlicher Models vorlegt, erntet sie zwar Entsetzen, viele Männer sind durch den Konsum westlicher Filme allerdings anderer Meinung.

So interessant einzelne Aspekte sind, die Schöttler und Wittler anreißen: Manches Mal hätte man sich gewünscht, dass die Filmemacher mehr in die Tiefe gehen, es nicht beim bloßen Andeuten belassen. Das sind dann die Momente, in denen Tine Wittlers Grundnaivität, die manches Mal zu einem unverblümten, unverstellten Blick auf mauretanische Besonderheiten führt, enervierend wird. Fast fahrlässig wirkt es dann, wenn berichtet wie, wie unvorbereitet das Duo in ein Land gereist ist, dass von gravierenden internen Problemen geplagt ist. Und wenn sich dann Wittler selbst für eine Sitzung einer Zwangsmästung unterzieht und literweise Kamelmilch in sich reinschüttet, wähnt man sich eher im Dschungelcamp als in einer ernsthaften Dokumentation über Schönheitsideale.

Am Ende hinterlässt René Schöttler und Tine Wittler „Wer schön sein will, muss reisen“ einen eher zwiespältigen Eindruck: Die Intentionen der Filmemacher waren ohne Frage aller Ehren wert und oft gelingen ihnen auch interessante Einblicke in eine ungewöhnliche, fremde Kultur. Doch manches Mal bleibt ihr Blick allzu naiv und oberflächlich.

Michael Meyns

Was ist Schönheit? Welche Frau ist schön? Ist Schönheit innerlich oder äußerlich?

Das sind Fragen, um die es in diesem Film geht. Und er gibt auch die Antwort: Zu glauben, dass ein allgemeingültiges Schönheitsideal zu formulieren sei, ist absurd. Schönheit ist an das Innere, an den Geist, an die Individualität, an die Kultur, an die Zeit, an den Ort, natürlich auch an den menschlichen Körper gebunden.

Zum Geschehen: Es spielt sich in dem westafrikanischen Wüstenstaat Mauretanien ab. Dort gelten Frauen nur als schön, wenn sie korpulent sind. Kleine Mädchen werden bereits (beispielsweise mit Kamelmilch) zwangsgefüttert und dann manchmal mit nur acht oder zehn Jahren verheiratet. Um rasch dick zu werden, greifen viele zu dubiosen Medikamenten, schwere gesundheitliche Schäden bleiben da natürlich nicht aus. Es gab schon Todesfälle.

Rechte besitzen die Frauen dort nicht, sogar ein Sohn kann seiner Mutter Vorschriften machen.

Die Autorin Tine Wittler wollte an Ort und Stelle die Realität erkunden. Sie – selbst auch nicht gerade dünn – kleidete sich wie die einheimischen Frauen; sprach mit ihnen; machte selbst versuchsweise eine Zwangsmästung, die sogenannte „Gavage“, durch; erkannte, dass die dortigen Frauen zwar rechtlich unterdrückt sind, sich aber auch mutig und kämpferisch zeigen und vor allem nicht aufgeben. Ebenso wichtig: Freundschaften konnten geschlossen werden.

Langsam setzt in den Menschenrechten, im Verhalten der Frauen und auch in der Mode des Dickseins ein Perspektivwechsel, eine Metamorphose ein.

Es ist ein formal sehr einfacher, aber informativer Dokumentarfilm, der den Blick auf eine hierzulande wenig bekannte Region (dreimal so groß wie die Bundesrepublik, drei Millionen Einwohner) sowie die dort herrschenden Bedingungen frei gibt; der von den in Mauretanien insbesondere für die Frauen zu erkämpfenden Menschenrechten handelt; der die Frage stellt, wie weit der Begriff der Schönheit an den Körper des Menschen und vor allem an den der Frau gebunden ist.

Thomas Engel