Wie in der Hölle

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Ähnlich wie Tom Tykwers Heaven basiert auch der neue Film von Oscargewinner Danis Tanovic (No Man’s Land) mit Emmanuelle Beart in der Hauptrolle auf einem Konzept, dass der polnische Regisseur Krzystof Kieslowski kurz vor seinem Tod verfasste, aber nicht mehr verwirklichen konnte. Und wie schon bei Heaven stehen auch hier die religiös-moralischen Fragen im Mittelpunkt, mit denen sich Kieslowski stets beschäftigte. Ebenso wie Tykwer gelingt es auch Tanovic, sich die fremde Vorlage zu Eigen zu machen und zu einer komplexen Studie über Schuld und Vergebung zu verarbeiten.

Webseite: www.wieinderhoelle.de

L’Enfer
Frankreich 2005
Regie: Danis Tanovic
Buch: Krzystof Piesiewicz, basierend auf einem Treatment von Krzystof Kieslowski
Kamera: Laurent Daillant
Schnitt: Francesca Cavelli
Musik: Dusko Segevic, Danis Tanovic
Darsteller: Emmanuelle Beart, Karin Viard, Marie Gillain, Guillaume Canet, Carole Bouquet, Jean Rochefort
103 Minuten, Format 1:2,35 (Scope)
Kinostart: 29. Juni
Verleih: Tobis

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Drei Schwestern in drei Phasen einer Beziehung bilden das Gerüst der Handlung. Sophie (Emmanuelle Beart) vermutet, dass ihr Mann sie betrügt, spioniert ihm nach, entdeckt die Wahrheit, versucht ihn zu halten, doch die Ehe ist unwiederbringlich gescheitert.

Anne (Marie Gillain), die jüngste der Schwestern, studiert an der Sorbonne und hat eine Affäre mit ihrem deutlich älteren Professor Frédéric. Dieser will die Beziehung beenden, doch Anne ist schwanger und versucht mit allen Mitteln Frédéric von der Möglichkeit ihrer Liebe zu überzeugen.

Schließlich Céline (Karin Viard), die Älteste, die seit Jahren allein und zurückgezogen lebt. Als einzige der Schwestern besucht sie regelmäßig die alternde Mutter (Carole Bouquet), die in einem Altersheim lebt. Eines Tages trifft sie den attraktiven Sébastian (Guillame Canet), der sie fasziniert und die Chance auf Liebe verspricht. Doch Céline muss erfahren, dass Sébastian aus einem anderen Grund in ihrem Leben aufgetaucht ist. Er ist das verbindende Glied zwischen Gegenwart und Vergangenheit, die Ursache für die Katastrophe, die die Familie einst entzweite. Damals wurde der Vater (Miki Manojlovich) wegen angeblichem Kindesmissbrauch ins Gefängnis gesteckt. Nach seiner Freilassung verweigerte die Mutter ihm jede Nähe, aus scheinbar offensichtlichen Gründen, trieb ihren Mann in den Selbstmord und verursachte so das Trauma, dass die Schwestern bis heute belastet und sie der Mutter entfremdete.

Was sich auf dem Papier arg kompliziert und geradezu didaktisch anhört, entwickelt sich unter der überzeugenden Regie Tanovics zu einem bemerkenswerten Film. Dass die Figuren trotz des thesenhaften Charakters des Drehbuchs nicht zu bloßen Bedeutungsträgern geraten, ist den drei exzellenten Hauptdarstellerinnen zu verdanken. Zwar verkörpern sie jeweils drei Typen, drei Möglichkeiten mit einem traumatischen Kindheitserlebnis umzugehen, mehr als das jedoch sind es berührende Versuche trotz aller äußeren Widerstände ein zufriedenes Leben zu führen.

Auf abstrakter Ebene erinnert Wie in der Hölle in vielerlei Hinsicht an Tanovics vielfach prämierten Film No Mans Land. Beide stellen Fragen nach der Möglichkeit einer Wahrheit und stellen genau dieses Konzept auf subtile Weise in Frage. Die Frage nach der Schuld, sei es für einen Krieg oder, wie hier, für die Ereignisse, die die Familie zerstörten, ist nicht immer so eindeutig zu bestimmen, wie oft getan wird. Insbesondere gilt, dass jede Entscheidung vielfältige Konsequenzen hat, die zum einen im Moment der Entscheidung noch nicht absehbar waren, zum anderen auch Folgen haben können, die den ursprünglichen Intentionen zuwider laufen. Die Kälte etwa, die die Schwestern der Mutter entgegenbringen, scheint angesichts des von der Mutter provozierten Selbstmords des Vaters nachvollziehbar. Doch waren ihre Gründe wirklich so egoistisch, wie die Schwestern – und auch der Zuschauer – lange Zeit glauben? Und so kann man auch den Titel letztlich auf alle Figuren anwenden, die alle mit erfahrener und verursachter Schuld umgehen müssen, die mit ihren Entscheidung leben müssen, so oder so.

Michael Meyns