Wolke, Die

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Wo sind eigentlich noch die gelben „Atomkraft? Nein, danke!“-Aufkleber zu sehen? Vereinzelt auf Gammelautos - und auf der Internetseite des Deutschen Historischen Museums. 20 Jahre nach der Katastrophe von Tschernobyl ist die Gefahr von Atomkraftwerken - im Gegensatz zu der Gefahr von Castor-Transporten - kein großes Thema mehr. Obwohl sich in den 17 noch laufenden AKWs in Deutschland allein im Jahr 2004 an die 114 Störfälle ereigneten. Mit dieser Information entlässt der Film „Die Wolke“ seine Zuschauer. Bis dahin erlebten sie auf der Leinwand, wie es sich anfühlen könnte, wenn im eigenen Land ein Super-GAU stattfindet. Gregor Schnitzler, der sich mit Szene- und Adoleszenzdramen wie „Was tun, wenn‘s brennt?“ und „Soloalbum“ etablierte, beschreibt einen deutschen Reaktorunfall  aus der Teenagerperspektive. Sein packendes und emotionales Drama mit zwei starken Hauptdarstellern und vielen Funken Hoffnung zielt auf das Individuum, nicht auf die Gesellschaft.

Webseite: www.die-wolke.com
Download des Filmheftes für den Unterricht (PDF)

D 2005
R: Gregor Schnitzler
B: Marco Kreuzpainter nach dem gleichnamigen Roman von Gudrun Pausewang
D: Paula Kalenberg, Franz Dinda, Hans-Laurin Beyerling, Tom Wlaschiha, Carina Wiese, Richy Müller
P: Clasart Filmproduktion
Verleih: Concorde
L: ca. 100 Min.
Kinostart: März 2006

PRESSESTIMMEN:

“Packende Verfilmung des ausgezeichneten Jugend-Bestsellers von Gudrun Pausewang über eine junge Liebe und den Willen zum Leben in Zeiten des Super-GAUs.”
Blickpunkt Film

...ist leidenschaftlich und grandios gemachtes Kino... ein spektakulärer Thriller von enormer Wucht und Wut. Spannend, beängstigend und tief berührend ...eine Sternstunde des politisch engagierten Films.
Cinema

Regisseur Gregor Schnitzler hat Gudrun Pausewangs Jugendroman als subtiles Kammerspiel fürs Kino adaptiert. Wir haben vielleicht längst vergessen und verdrängt, was für ein Supergau sich am 26. April 1986 in Tschernobyl ereignete. Schon werden wieder Stimmen gegen den geplanten Ausstieg aus der Atomenergie laut. Da kommt ein aufrüttelnder Film nach Gudrun Pausewangs gleichnamigem, mehrfach ausgezeichneten Jugendroman gerade recht. Regisseur Gregor Schnitzler ("Soloalbum") und sein Drehbuchautor Marco Kreuzpaintner ("Sommersturm") beleuchten die Folgen der risikobehafteten Atomenergie plastisch, dramatisch und ohne jeden Anflug von Verharmlosung. (...)
Die Liebesgeschichte hat Marco Kreuzpaintner allerdings dazu erfunden... Dramaturgisch zwingend war diese Entscheidung nicht. Paula Kalenberg und Franz Dinda tragen zwar diese als subtiles Kammerspiel angelegte Liebesgeschichte, aber sie lenkt ein bisschen von dem eigentlichen Drama ab. Vor allem Szenen, in denen die Liebenden auf dem Dach der Krankenstation im strömenden Regen stehen, wirken eine Spur zu pathetisch und monumental für einen sonst eher kleinen, unprätentiösen Low-Budget-Film. Seinen stärksten und nachhaltigsten Eindruck mit realitätsnahen Bildern von hektisch agierenden Menschen und verwirrt herumirrenden Kühen hinterlässt "Die Wolke" in den ersten 40 Minuten, wenn Angst und Panik um sich greifen. Da ist Tschernobyl wieder ganz nah: Atomkraft – nein danke.
Bayerischer Rundfunk

Verfilmung des gleichnamigen Jugendromans von Gudrun Pausewang als Mischung aus beklemmendem Katastrophen-Szenario und Teenager-Romanze, der trotz inszenatorischer Schwächen ein schwieriger Spagat gelingt. In der Hauptrolle sensibel gespielt, konfrontiert der Film sein jugendliches Zielpublikum nicht nur mit ausgrenzendem Verhalten , sondern vor allem auch mit Fragen nach Schuld und Verantwortung.
film-dienst

FILMKRITIK:

Alles beginnt so idyllisch und belanglos, dass man sich schon in ein TV-Unterhaltungsdramolett hinein verirrt glaubt: Die 16jährige Hannah (Paula Kalenberg) und ihre Freundin plantschen im See, die kleinen Brüder klauen ihre Kleider, dazu klimpert Begleitmusik. Zuhause nervt die alleinerziehende Mutter, in der Schule der Physiklehrer, es folgen erste scheue Flirtkontakte mit Elmar (Franz Dinda), dem neuen Mitschüler aus reichem Elternhause. Die beiden sind spürbar im Stress mit ihren hochkomplizierten Leben. Als sie endlich während einer Klassenarbeit bei einem heimlichen Treffen im Theaterraum zueinander finden, bricht der ABC-Alarm aus. Während Hannah nach Hause rennt, um sich um ihren kleinen Bruder Ulli zu kümmern, flüchten ringsum die Nachbarn in ihren Autos. Hannah weiß nicht, was sie tun soll. Der Telefonanruf ihrer Mutter aus Schweinfurt endet abrupt. Die Stadt nahe des defekten Kernkraftwerks wird in diesem Moment ausgelöscht. Die Radios warnen vor einer radioaktive Wolke. Hannah versucht, mit dem unverständigen Ulli nach Bad Hersfeld zu radeln. Ulli, der überhaupt nicht begreift, was das alles soll, wird von einem rasenden Auto erfasst. Die verzweifelte Hannah schafft es nicht mehr, den letzten Zug aus Bad Hersfeld zu erreichen und gerät in den radioaktiven Regen .
 

Sie erwacht auf einer Krankenstation in Hamburg, ihre Haare fallen aus. Zurück kann sie nicht mehr, ihre Heimat ist verseucht. Sie gehört jetzt zu denjenigen, die „Pech gehabt“ haben. An ihrer neuen Schule ist sie die Einzige, die eine Glatze hat. Aber Elmar, der auch an den Strahlungsfolgen erkrankt, findet sie wieder, er hält an seiner Liebe zu ihr fest. Unschuldige Versteckspiele und kitschige Tanzszenen auf der Intensivstation folgen. „Was meinst du, wieviel Zeit wir noch zusammen haben?“ „Ich weiß es nicht, aber jetzt wünsche ich mir, dass jede Sekunde eine Ewigkeit dauert.“ Es gibt Hoffnung, wie groß sie ist, ist letztendlich egal. Die beiden haben sich und ihre Liebe.

Gregor Schnitzler stellt den Gefühlszuständen seiner intensiv und überzeugend spielenden Hauptdarsteller  gewaltige und beklemmende Szenarien gegenüber: Er zeigt einen verwaisten urdeutschen Ort mit Brunnen und Fachwerkhäusern nach der Flucht der Einwohner, Autostaus und hysterische Familien in einer blühenden Landschaft, Panik und Rücksichtslosigkeit auf dem Übervollen Bahnhof von Bad Hersfeld, den Hamburger Rathausplatz übersät mit Lazarettzelten. Hannah ist die große kleine Tragödin, um die herum die Welt zusammenbricht. Wenn sie zusammengekrümmt neben verlorenen Gepäck auf dem Bahnhofsvorplatz im Regen liegt, wird das Drama zur großen Oper.

Vermutlich wäre eine Verfilmung von Gudrund Pausewangs Bestseller „Die Wolke“ vor 20 Jahren sehr viel depressiver und auch aggressiver ausgefallen. 1988 wurde das Buch mit dem deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet, angeblich versuchte die Atomindustrie damals die Preisvergabe zu verhindern. Ob es mit den Filmaufführugen ähnliche Schwierigkeiten geben wird? Eher nicht, denn Gregor Schnitzler verschiebt den Schwerpunkt von der Politik auf den Einzelnen. Im Buch klagt Hannah die Erwachsenen an, die Gefahr ignoriert zu haben. Im Film fällt die Anklage weg. Hier geht es fast nur um ihr Weiterleben in einer schnell zur Normalität zurückgekehrten Umgebung, um Hannahs Ausgeschlossensein als Kahlköpfige, um ihre Liebesgeschichte, die im Buch übrigens sehr viel weniger glatt ausfällt. Aber so wird das schwerwiegende Thema ein breiteres Publikum finden, sicherlich auch viele Schulklassen, die sich (hoffentlich) wieder mit den Gefahren der Atomkraft auseinandersetzen.

Dorothee Tackmann