Zeit der Kannibalen

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Drei Unternehmensberater, zwei Männer und eine Frau, wechselnde Hotelzimmer. Mehr braucht es nicht als Basis für geschliffene, pointierte, bitterböse Dialoge über Macht, Geld, Sex und Gier, wie man sie im deutschen Kino lange nicht gehört hat. Das brillante Drehbuch von Stefan Weigl macht „Zeit der Kannibalen“ zum Schaustück für drei Schauspieler, die ebenso viel Vergnügen an der Niedertracht zu haben scheinen, wie der Zuschauer im Kino. Ein herausragender Film.

Webseite: www.farbfilm-verleih.de

Deutschland 2013
Regie: Johannes Naber
Buch: Stefan Weigl
Darsteller: Devid Striesow, Sebastian Blomberg, Katharina Schüttler
Länge: 93 Minuten
Verleih: farbfilm Verleih
Kinostart neu: 22. Mai 2014

PRESSESTIMMEN:

"Ultrareduzierte, schneidend böse Groteske über Hardcore-Kapitalisten im Selbstzerstörungsmodus."
KulturSPIEGEL

FILMKRITIK:

Sie sind ein eingespieltes Team: Frank Öllers (Devid Striesow) und Kai Niederländer (Sebastian Blomberg). Seit Jahren reisen die Unternehmensberater um die Welt, treffen in den immer gleichen Konferenzräumen auf Kunden unterschiedlicher Art, denen sie die immer gleichen Vorschläge machen: Umstrukturieren, Sparen, die Produktion in noch billigere Länder verlegen. Die Abende verbringen sie dann in den immergleichen Hotelzimmern, möglichst weit weg von der Welt da draußen, den dreckigen, verkommenen Hauptstädten der so genannten Dritten Welt.

Privatleben existiert, wenn überhaupt, dann nur am Telefon: Niederländer hat gar keins, er lebt nur für den Job, den beruflichen Erfolg, während Öllers Karriere vor dem Ende steht und der Sohn an Neurodermitis leidet. In diese Welt tritt Bianca März (Katharina Schüttler), eine junge Kollegin, die noch so etwas wie Ideale hat, die glaubt, mit ihrer Arbeit die Welt verändern zu können. Angesichts von Öllers und Niederländers Zynismus stockt ihr der Atem: Witze über Bürgerkriege, Terroranschläge und Witwenverbrennungen sind in dieser Welt an der Tagesordnung, Untergebene werden miserabel behandelt, für die Ereignisse der echten Welt interessiert man sich nicht.

Doch während draußen – es ist wohl die nigerianische Metropole Lagos, aber das spielt keine Rolle – die Explosionen eines Bürgerkriegs näher kommen, sorgen sich Öllers und Niederländer in den klimatisierten Räumen ihres Hotels um ihre Zukunft: Die Firma soll verkauft werden, geschluckt von einer noch größeren. Doch dann die Überraschung: Der neue Boss bietet ihnen an, Partner zu werden, was noch mehr Geld bedeutet. Öllers und Niederländer wähnen sich am Ziel ihrer Träume.

Nicht ein einziges Mal verlässt „Zeit der Kannibalen“ die Hotelräume, künstliche Welten, in denen nur die Hautfarbe der Angestellten eine Idee davon vermittelt, in welcher Region man sich befindet. Blicke aus dem Fenster gibt es kaum und wenn doch, dann sieht man nur angedeutete Hochhäuser, kaum mehr als Pappkartons, die die Künstlichkeit des Konstrukts noch betonen. Und ebenso stilisiert wie die Kulissen sind auch die drei Charaktere, die hier aufeinander treffen. Während Katharina Schüttlers Figur noch größtenteils in der wirklichen Welt verankert ist (und dem Film einen moralischen Anker verleiht, der etwa in dem im Ansatz, wenn auch nicht in der Machart sehr ähnlichen „Wolf of Wall Street“ komplett fehlt) sind die Figuren von Devid Striesow und Sebastian Blomberg bis ins Groteske überzeichnet. Und machen deswegen soviel Spaß.

Passenderweise bleibt Johannes Nabers Regie eher unauffällig und lässt den Schauspielern viel Platz, die pointierten, bösen Dialogsätze genussvoll in den Raum zu stellen. Ob Blombergs Niederländer panisch nach einem Moskito sucht, dass es gewagt hat, in sein Refugium einzudringen, oder Striesows Öllers ein Hotelzimmer verwüstet: Auf brillante Weise seziert Stefan Weigls Drehbuch die Abgründe des modernen Kapitalismus, legt den Finger nicht auf Wunden, sondern stochert genüsslich in ihnen rum. So treffend ist das, so präzise gespielt, so kompromisslos, dass man an Theaterstücke von Neil LaBute oder Harold Pincher denken muss. Warum dieser brillante Film, der zum Besten zählt, das in den letzten Jahren in Deutschland gedreht wurde, nicht im Wettbewerb der Berlinale 2014 lief (sondern in der Reihe Perspektive Deutsches Kino) bleibt ein Rätsel.
 
Michael Meyns