Hinter den Wolken

Zum Vergrößern klicken

Sanfter Humor und ein bisschen Romantik – das sind die wichtigsten Zutaten der Geschichte um Emma und Gerard, beide deutlich jenseits des Pensionsalters, aber immer noch lebens- und liebeshungrig. Nach 50 Jahren treffen sich die beiden wieder und verlieben sich neu. Die ruhige Komödie glänzt mit frischem Wortwitz und zwei herausragenden Hauptakteuren: Chris Lomme und Jo De Meyere. Mit ihrer offensichtlichen Lebens- und Spielfreude sorgen sie für jede Menge positive komödiantische Energie.

Webseite: wolken.pandorafilm.de

Originaltitel: Achter de Wolken
Belgien 2016
Regie: Cecilia Verheyden
Drehbuch: Michael de Cock (nach seinem gleichnamigen Theaterstück)
Darsteller: Chris Lomme, Jo De Meyere, Katelijne Verbeke, Charlotte De Bruyne, Lucas Van den Eynde
Länge: 108 Minuten
Verleih: Pandora Film
Kinostart: 20. Oktober 2016

FILMKRITIK:

Ausgerechnet bei der Trauerfeier für ihren Mann Frederik sieht Emma nach 50 Jahren Gerard wieder. Er war einst der beste Freund ihres Mannes und – wie sich bald herausstellt – vor vielen Jahren Frederiks Rivale um Emmas Liebe. Gerard will Emma treffen, aber sie zögert, aus echter Trauer, denn ihre Ehe war wirklich glücklich, und aus Pietät, aber vielleicht auch aus Angst. Doch Gerard erweist sich als ziemlich hartnäckig. Als die beiden sich endlich wiedersehen, erkennt Emma schnell, dass Gerard sie immer noch liebt. Er weiß nicht nur auf den Tag genau, wie lange sie sich nicht gesehen haben (53 Jahre, 3 Monate und 6 Tage), sondern er wirbt auch ziemlich offen um sie. Damit kann Emma nicht umgehen, und sie ist auch ein bisschen schockiert über Gerards Annäherungsversuche. Sie ziert sich nicht nur, sie zieht sich sogar zurück. Doch nach so vielen Jahren des Wartens hat Gerard nicht mehr viel Geduld. Jetzt oder nie, heißt die Devise, und wenn er früher ein eher zurückhaltender Träumer war, so scheint er sich im Alter beinahe zum Draufgänger zu mausern. Als Emma sich auf eine Beziehung mit Gerard einlässt, schockiert sie damit ihre Familie, aber auch sich selbst: Soll, kann und darf sie wirklich als frisch gebackene Witwe einen Neuanfang wagen?

Sehr sanft, sehr ruhig ist der Grundton dieser sensiblen Komödie, die ihr Publikum eher zum Schmunzeln als zum Lachen bringt. Und das liegt dann vor allem an den geschliffenen Dialogen, die gelegentlich zwischen den beiden Hauptdarstellern hin- und hergepfeffert werden. Wie sich die ehemaligen Liebenden nach so vielen Jahren wieder einander nähern, ist nicht nur rührend, sondern auch witzig und liebevoll. Der „Realitätscheck“ vor dem ersten Sex wird dann folgerichtig zu einem echten Highlight. Diese beiden sind noch lange nicht reif fürs Abstellgleis. Die junge Regisseurin Cecilia Verheyden zeigt ein Paar, das absolut mit der Zeit geht: Emma ist keinesfalls eine brave Oma, die mit Dutt und Strickzeug den Tag im Schaukelstuhl verbringt. Im Gegenteil: Sie ist umtriebig, macht Sport und geht zum Englischkurs, sie ist aktiv in sozialen Netzwerken – Gerard nimmt nach dem Begräbnis ihres Mannes Kontakt mit ihr über Facebook auf. Er ist Schriftsteller, lebt in Frankreich, kümmert sich aber rührend um seinen dementen Bruder, einen ehemaligen Pianisten, der in einem belgischen Pflegeheim lebt. Zwei Ehen hat Gerard hinter sich. Und als Emma meint, er hätte eben nie die Richtige gefunden, antwortet er: „Doch – ein Mal.“

Zu Emmas Familie gehört ihre Tochter Jacky, die sich von einer miesen Beziehungskiste in die nächste schleppt. Im Moment ist sie gerade mal wieder mit einem verheirateten Mann liiert, der sich angeblich von seiner Frau trennen will. Jacky ist eher der Typ Nervensäge – das Verhältnis zwischen Mutter und Tochter ist nicht gerade herzlich. Und nun, nach dem Tod des Vaters, fühlt sich Jacky auch noch verpflichtet, um ihre Mutter herumzuglucken, so dass sich Emma regelrecht kontrolliert fühlt. Glücklicherweise ist da auch Evelien, Jackys Tochter, sie ist um die Zwanzig und eigentlich ganz patent, wenn man mal davon absieht, dass sie dauernd durch die Führerscheinprüfung fällt. Großmutter und Enkelin vertragen sich blendend: Emma und Evelien sind echte Freundinnen – sie können offen über alles sprechen. Und Evelien, nicht Jacky, zieht Emma ins Vertrauen, wenn es um Gerard geht.

Das alles ist liebevoll und realistisch ausgedacht. Michael de Cock hat es geschafft, das vermutlich Beste aus seinem Theaterstück – den Plot und die tollen Dialoge – in den Film mitzunehmen und geschickt aufzupeppen. Hier gibt es keine grellen Zwischentöne. Cecilia Verheyden inszeniert in ruhigen, eher pastelligen Bildern, die den Alltagswitz ebenso einfangen wie die Melancholie, die angesichts von Emmas Trauer und dem Alter der Beteiligten einfach dazugehört. Ein paar Details sorgen zusätzlich für ein bisschen Rührung, glücklicherweise ohne Kitschverdacht: Gerards Bruder, der sich nicht mehr an seine Musik erinnert, erkennt aber Emma wieder, und wenn am Ende Emma über ihren Schatten springt, dann ist das einfach nur romantisch und schön.

Also noch eine Senioren-RomKom? – Ja, aber auch eine ganz besonders hübsche, denn hier findet nicht nur nach vielen Jahrzehnten endlich der Topf sein Deckelchen, sondern Chris Lomme (Emma) und Jo De Meyere (Gerard) sind ein perfekt eingespieltes Paar. Während Chris Lomme sanft, damenhaft und eher ruhig wirkt, wobei nur gelegentlich hinter ihrer konservativen Maske so etwas wie Flippigkeit aufblitzt, ist Jo de Meyere mit seiner aufmerksamen Art und mit pfiffigem Blick ihr idealer Gefährte. Er lässt ihre Trauer zu, bringt sie zum Lachen und zeigt ihr mit viel Humor, Poesie und Verständnis einen neuen Weg, so lange, bis sie ihm schließlich glaubt. Die beiden spielen so authentisch und so außergewöhnlich gut, dass es irgendwann überhaupt keine Rolle mehr spielt, ob dieses offenbar füreinander bestimmte Paar nun 20 oder 70 ist.

Gaby Sikorski