Born In Evin

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Eine sehr persönliche Spurensuche zur Identitätsfindung: Maryam Zaree wurde als Tochter einer politischen Gefangenen des iranischen Terrorregimes im berüchtigten Gefängnis von Evin geboren. Doch die Mutter kann mit ihr nicht über diese Zeit sprechen, so dass Maryam nun selbst Recherchen durchführt. Die Reise in die Vergangenheit ist trotz dramaturgischer Schwächen vor allem deshalb sehenswert, weil sie die Spätfolgen von Verfolgung und Flucht thematisiert, die sich nicht nur auf die Betroffenen selbst auswirken, sondern bis in die nächsten Generationen reichen.

Webseite: www.realfictionfilme.de

Dokumentarfilm
Deutschland 2019
Drehbuch und Regie: Maryam Zaree
Kamera: Siri Klug
96 Minuten
Verleih: Realfiction
Kinostart: 17. Oktober 2019

FILMKRITIK:

Die Schauspielerin Maryam Zaree lebt in Frankfurt am Main, wo ihre Mutter Nargess mit ihrer kleinen Tochter vor 35 Jahren als Flüchtling aus dem Iran ankam. Heute ist die Psychologin in der Kommunalpolitik aktiv und hat als Bürgermeisterin in Frankfurt kandidiert. Über die Vergangenheit möchte die Mutter nicht mit ihrer Tochter sprechen, schon gar nicht über die Zeit, in der sie als Schwangere und junge Mutter in ihrer Heimat im Gefängnis war, in einem Vorort von Teheran, bis heute berüchtigt als „Hölle von Evin“. Maryam hat viele Fragen, sie wird angetrieben von Problemen mit ihrem eigenen Selbstverständnis und dem Gefühl, ihr Leben wäre leichter, wenn sie mehr über die Vergangenheit wüsste. Und weil sie Antworten sucht, macht sie sich auf die Reise zu Menschen, die ihr helfen könnten. Dafür fährt sie nach Paris, London und Florenz, sie besucht ihren Vater, der ebenfalls in Evin inhaftiert war und erst viel später als seine Frau freikam, sie reist zu Verwandten, Freundinnen ihrer Mutter und zu ehemaligen politische Weggefährten ihrer Eltern. Was Maryam erfährt, lässt sie immer weiter recherchieren, auch wenn sie zwischendurch mehrmals das Projekt abbrechen will – die Gründe dafür liegen im Verhältnis zwischen Mutter und Tochter, das während der Dreharbeiten immer angespannter wird.
 
Der Film ist interessant – keine Frage, denn er beschäftigt sich mit den Spätfolgen von Verfolgung, Gewalt und Flucht. Die Überlebenden und sogar die folgenden Generationen tragen das Trauma weiter mit sich. Insofern hätte es sich für Maryam Zaree angeboten, das zumindest teilweise Schweigen ihrer Mutter zum Ausgangspunkt einer Geschichte zu machen, in der sie gemeinsam mit dem Publikum ihre eigene Familiengeschichte im Iran entdeckt. Doch leider konnte sich Maryam Zaree offenbar nicht so recht entscheiden, ob sie einen Film über ihre Mutter oder über sich selbst machen wollte. So wirkt ihr autobiografischer Dokumentarfilm manchmal beliebig und in seiner Sprunghaftigkeit – die Schauplätze werden gelegentlich sehr flott gewechselt, ohne dass eine Struktur dahinter klar wird – erscheinen die einzelnen Stationen nicht immer komplett durchdacht. Die Fernsehbilder und Fotos, mit denen sie die Geschehnisse der Vergangenheit darstellt, werden hingegen stringent eingesetzt, und was die historische Aufarbeitung betrifft, funktioniert der Film auf allen Ebenen. Vermutlich war Maryam Zaree aber von dem Wunsch geleitet, selbst möglichst authentisch zu wirken. Doch viele Aufnahmen, die sie selbst zeigen und damit Nähe und Realität suggerieren, sind offensichtlich gestellt und erscheinen aufgesetzt, womit die beabsichtigte Wirkung konterkariert wird. Die Krisen zwischen Mutter und Tochter aufgrund des Filmprojekts erscheinen unglaubwürdig. Zusätzlich führt die Konzentration auf ihre eigene Person dazu, dass Maryam Zaree, wahrscheinlich unbeabsichtigt, gleichzeitig abgebrüht und übertrieben sensibel, also für ihr Alter (Mitte 30) eher unreif wirkt. Einerseits ist sie in den Interviews ziemlich penetrant und bleibt angesichts der Gräuel, die anderen widerfahren sind, relativ entspannt, andererseits betont sie selbst immer wieder, welche Auswirkungen in Form von Ängsten und Befindlichkeitsstörungen die Haft der Mutter und deren Schweigen darüber auf sie hat. Was locker sein soll, wirkt manchmal übertrieben flapsig. Dabei kratzt sie, was das Verhältnis zur Mutter betrifft, lange nur an der Oberfläche herum und gelangt erst spät zum Kern des Problems. Zum Schluss hin scheint sie eine dann doch relativ abrupte Entwicklung zu vollziehen, die sie dazu bringt, ihr eigenes Verhalten zu reflektieren und nunmehr die Persönlichkeit ihrer Mutter zu akzeptieren. Den Lernprozess, den sie selbst erfährt, visualisiert sie dabei in Bildern voller eindeutiger Symbolkraft: Sie zeigt sich selbst in einer Wüstenlandschaft, einen Fallschirm hinter sich herziehend, von dem sie sich am Schluss befreit. Show – don’t tell … die alte Filmweisheit gilt auch hier, und Miryam Zaree findet in diesen Bildern persönlich und filmisch ihre Lösung.
 
Gaby Sikorski