Burning

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Mehr als ein Jahr nach seiner Premiere bei den letztjährigen Filmfestspielen von Cannes kommt einer der besten Filme des Programms doch noch in die deutschen Kinos: Lee Chang-dongs „Burning“, basierend auf einer Kurzgeschichte von Haruki Murakami, die der südkoreanische Auteur jedoch nur als Ausgangspunkt einer tranceartigen Geschichte nimmt, die ebenso vielschichtig wie rätselhaft ist.

Webseite: www.capelight.de/burning

OT: Beoning
Südkorea 2018
Regie: Lee Chang-dong
Buch: Oh Jung-mi, Lee Chang-dong
Darsteller: Yoo Ah-in, Steven Yeun, Yun Jong-seo
Länge: 148 Minuten
Verleih: capelights pictures
Kinostart: 6. Juni 2019

FILMKRITIK:

Es beginnt harmlos: Jongsu (Yoo Ah-in) träumt von einer Karriere als Schriftsteller, doch davon ist er noch weit entfernt. Als Lieferjunge verdient er sein Geld und begegnet dabei eines Tages Haemi (Yun Jong-seo), die sich ebenfalls mit einem Aushilfsjob herumschlägt.  Haemi behauptet, dass sie Klassenkameraden sind, woran sich Jongsu zwar nicht erinnern kann, doch der ebenso reizenden, wie verführerischen Haemi kann er nicht widerstehen.

Man landet in ihrem winzigen Appartement, hat Sex und schon ist es um Jongsu geschehen. Doch nur kurze Zeit später kündigt Haemi an, nach Afrika zu gehen, wo sie etwas vom Leben sehen will. Jongsu erklärt sich bereit, auf ihre Katze aufzupassen, deren Katzentoilette er regelmäßig reinigt, ohne das Tier jemals zu Gesicht zu bekommen. Während er auf Haemi wartet, versucht er zu schreiben, liest William Faulkner und kümmert sich um seinen Vater, der wegen eines Streits mit einem Polizisten im Gefängnis sitzt.

Als Haemi endlich zurückkehrt und Jongsu sie am Flughafen abholt, ist sie in Begleitung des attraktiven und wohlhabenden Ben (Steven Yuen) und scheint nur noch an einer Freundschaft mit Jongsu interessiert. Doch auch wenn dessen Eifersucht immer stärker wird, lässt er sich auf das zunehmend merkwürdige Dreiecksverhältnis ein und verbringt viel Zeit mit Haemi und Ben. In einem vertrauten Moment verrät Ben ihm sogar, dass er ein merkwürdiges Hobby hat: Er zündet gern verlassene Scheunen an. Und als wäre das nicht seltsam genug, verschwindet plötzlich auch noch Haemi spurlos.

Kaum mehr als zehn Seiten lang ist Haruki Murakamis Kurzgeschichte „Barn Burning“, die als Vorlage für Lee Chang-dongs Film dient. Den selben Titel trägt auch eine Geschichte von William Faulkner, kein Zufall natürlich, wie die mehrfachen Hinweise auf den amerikanischen Autor zeigen. Faulkner war für die Technik des Stream of Consciousness bekannt, oft seitenlange Passagen, die tief in das Innere einer Figuren blicken ließen, die Fragen nach Subjektivität und der Wahrheit öffneten. Um diese Themen kreist auch „Burning“, ein Film, der ganz langsam erzählt ist, dabei lange Zeit so schlicht und klar, das die Widersprüche des Gesagten und Gezeigten leicht übersehen werden.

Schon die Begegnung von Haemi und Jongsu ist ein Rätsel, ihre Bekanntschaft in der Schule vielleicht ebenso eine Phantasie oder Lüge wie die Existenz oder Nichtexistenz der Katze, von der stets nur gesprochen wird, die jedoch nie zu sehen ist.

Sind diese Mysterien noch harmlos, kommen mit den dritten Figur zunehmend gravierendere Fragen auf: Zündet Ben tatsächlich Scheunen an? Und vor allem: Hat er tatsächlich etwas mit dem Verschwinden Haemis zu tun, wie es Jongsu glaubt und lange auch der Zuschauer? Oder blickt Lee Chang-dong mit seinem Film vor allem in die Psyche eines Möchtegern-Schriftstellers und seiner blumigen Vorstellungswelt?

Wie Lee all diese Fragen im Raum hält, sich nicht auf klare Antworten festlegen lässt, dabei aber dennoch in keinem Moment willkürlich und auf banale Weise verwirrend wirkt, macht „Burning“ so faszinierend. Mit seinem betont langsamen, fast zeitlupenhaften Tempo verlangt er nach einem anderen Sehen als gewöhnliche, von straffer Narration getriebene Filme. Die Vielschichtigkeit offenbart sich hier erst im Nachhinein, beim Nachdenken über einen der rätselhaftesten, aber auch beeindruckendsten Filme des Kinojahres.

Michael Meyns