Colette

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Die 1873 geborene Schriftstellerin und Varietékünstlerin Sidonie-Gabrielle Colette galt schon zu Lebzeiten als emanzipierte Frau, die ihrer Zeit in vielen Dingen voraus war. Regisseur Wash Westmoreland (Ko-Regie bei „Still Alice“) widmet der freigeistigen Französin nun ein mit Keira Knightley besetztes und beim Filmfestival in Sundance uraufgeführtes Biopic, das sich auf die frühen Jahre Colettes konzentriert, in denen sie als Ghostwriterin für ihren Ehemann reüssierte und peu à peu die gesellschaftlichen Gepflogenheiten überwand. Herausgekommen ist eingängiges Unterhaltungskino im historischen Setting um die Jahrhundertwende.

Webseite: dcmworld.com

Großbritannien, USA 2018
Regie: Wash Westmoreland
Drehbuch: Richard Glatzer, Wash Westmoreland, Rebecca Lenkiewicz
Darsteller/innen: Keira Knightley, Dominic West, Denise Gough, Eleanor Tomlinson, Fiona Shaw, Robert Pugh, Ray Panthaki
Laufzeit: 111 Min.
Verleih: DCM
Kinostart: 3. Januar 2019

FILMKRITIK:

1892 in der kleinen französischen Gemeinde Saint-Sauveur: Während die Eltern der jungen Sidonie-Gabrielle Colette (Keira Knightley) noch mutmaßen, dass der Pariser Autor Willy (Dominic West) womöglich bald um die Hand ihrer Tochter anhalten will, schreiten Sidonie und Willy bereits zur Tat. Wie Effi Briest und ihr Major von Crampas turteln die Verliebten heimlich in einer Scheune. Auch sonst sind Colette und Fontanes „Tochter der Lüfte“ seelenverwandt: Beide werden in ihrem Drang nach Freiheit und Selbstbestimmung von patriarchalen Machtstrukturen eingeschnürt.
 
Die Ehe zwischen Colette und Willy führt die Provinzdame in gehobene Pariser Kreise. Der Autor Willy lebt zwar auf großem Fuß, zehrt aber nur noch von seinem guten Namen und beschäftigt für seine Veröffentlichungen Ghostwriter. Als er in Geldnot gerät, springt auch Colette als Autorin ein. Ihr teils autobiographischer Roman „Claudine“ über ein modernes Mädchen vom Land avanciert anno 1900 zum Verkaufsschlager. Bald folgen weitere „Claudine“-Bücher, ein Theaterstück und Fanartikel wie Seifen und Fächer. Mit der Zeit genügt es Colette immer weniger, im Schatten ihres Manns zu stehen. Sie fordert eine offizielle Nennung als „Claudine“-Schöpferin und entdeckt an der Seite der androgynen Missy (Denise Gough) in die Welt der Varietétheater.
 
Schon der Umstand, dass sämtliche Figuren Englisch sprechen, verweist auf den eingängigen Unterhaltungsanspruch des Dramas. Wash Westmoreland hat das Drehbuch zusammen mit Richard Glatzer und Rebecca Lenkiewicz verfasst. Glatzer sammelte beim Errol Flynn-Biopic „Mein Leben mit Robin Hood“ Erfahrungen mit biographischen Stoffen, Lenkiewicz porträtierte als Co-Autorin des polnischen Dramas „Ida“ bereits eine emanzipierte Frauenfigur.
 
Der Plot von „Colette“ verläuft routiniert. Im Mittelpunkt steht die Selbstermächtigung der von Keira Knightley reserviert gespielten Titelheldin, die ihrem Gatten nach anfänglicher Ergebenheit über den Kopf wächst und die gesellschaftlichen Regeln in Frage stellt. Wie ihr untreuer Mann nimmt sie sich das Recht auf Affären heraus, die sie mit Frauen auslebt. Inspiriert von ihrer Liebhaberin Missy trägt Colette Männerkleidung und eine Kurzhaarfrisur, was in der Pariser Modewelt einen Trend auslöst.
 
Die traditionelle Inszenierung spiegelt die um 1900 durchaus skandalträchtigen Umstände wie Colettes offene Libertinage kaum wider. Wash Westmoreland legt ein klassisch in Szene gesetztes Historiendrama mit den üblichen, nichtsdestotrotz schön anzuschauenden Ausstattungsstandards des Genres vor. Es gibt feine Abendgesellschaften, Picknicks, Feder und Tinte, Kutschfahrten und natürlich Kostüme für sämtliche Anlässe. Ein über das Gewohnte hinausgehender Gestaltungswille blitzt vor allem bei der Musikuntermalung auf, wenn der Orchester-Score in manchen Momenten dramatisch anschwillt.
 
Mit der geschliffenen Erzählweise funktioniert „Colette“ als pittoreskes Emanzipationsdrama mit Schauwerten des Fin de Siècle. Andererseits verliert die Geschichte der feministischen Vorkämpferin Sidonie-Gabrielle Colette dadurch an Fallhöhe. Selbst als Willy seine Frau gegen ihren Willen ins Schreibzimmer sperrt, wirkt das im Kontext der leichtfüßigen Filmerzählung eher heiter-verspielt als tragisch.
 
Christian Horn