Die Götter von Molenbeek

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Eigentlich hatte Reetha Huhtanen nur vor, einen Kurzfilm über ihren Neffen Aatos zu machen. Ihre Schwester hatte ihr erzählt, dass der sechsjährige Junge häufig über Götter spricht und ein reges Interesse daran hat. Als Huhtanen schließlich damit begann, das Leben des Jungen im Brüsseler Viertel Molenbeek zu dokumentieren, veränderte sich der Ansatz. Aus einem Kurz- wurde ein Langfilm, der nicht nur die Kinder aus Aatos‘ Umgebung in den Mittelpunkt rückt, sondern auch zeigt, wie sie reagieren, als ihr Viertel zur Heimstatt des Terrors wird, kamen die Attentäter des Brüsseler Anschlags im März 2016 doch aus Molenbeek.

Webseite: www.realfictionfilme.de

Aatos ja Amine
Finnland / Deutschland 2019
Regie + Buch: Reetha Huhtanen
Länge: 73 Minuten
Verleih: Real Fiction
Kinostart: 21. November 2019

FILMKRITIK:

„Gibt es Gott überhaupt?“, wird Aatos gefragt. Seine Antwort: „Ich denke schon, aber nur in Geschichten aus Finnland.“ Für ihn sind die Götter Phantasiewesen, er interessiert sich für die nordischen ebenso wie für die griechischen und ist fasziniert davon, wie sein Freund Amine an Allah glaubt, religiöse Texte zitieren kann und regelmäßig mit seinem Vater betet. Aatos spricht häufig über die Götter, auch und gerade mit anderen Kindern. Seine Freundin Flo glaubt, dass an Götter zu glauben, die Menschen verrückt macht. Das hat sie vielleicht von ihren Eltern aufgeschnappt, vielleicht auch irgendwo anders, aber sie transportiert die Perspektive, ohne es freilich zu wissen, dass organisierte Religion auch immer ein Unruheherd ist.
 
Reetha Huhtanen folgt den Kindern bei ihrem Spiel, bei ihren Unterhaltungen, bei den Momenten, die von schöner Unbedarftheit sind. Es sind Sechsjährige, die hier im Mittelpunkt stehen. Die Kamera ist immer auf ihrer Augenhöhe, Erwachsene tauchen auf, aber nur mit abgeschnittenen Gesichtern. Weder der Film noch die Kamera sind wirklich an ihnen interessiert. Vielmehr will man zeigen, wie die Welt der Kinder ist – und wie sie sich ändert, als im März 2016 Selbstmordattentäter ihre Bomben zünden und in Brüssel zahlreiche Menschen in den Tod reißen.
 
Die freiheitliche Gesellschaft wird erschüttert, Soldaten patrouillieren auf den Straßen und Muslime demonstrieren gegen den Terror, um ein Zeichen zu setzen und zu zeigen, dass die Mehrheit von ihnen den Terror nicht gutheißt.
 
Nach diesem Tag verändert sich auch das Leben der Kinder. Spielten Aatos und Amine zuvor noch unbeschwert, so schleicht sich nun ein Gefühl der Bedrückung ein, aber es ist eines, das auch wieder abgestreift werden kann, wie der hoffnungsvolle Epilog zeigt, der ein Jahr später spielt und zeigt, wie die Kinder wieder ihrem unbeschwerten Tagwerk nachgehen.
 
Das ist auch ein Zeichen der Hoffnung, denn Orte wie Molenbeek müssen nicht nur die Brutstätte des Terrors sein, sondern können auch bei den Bewohnern, vor allem aber den Kindern ein multikulturelles Verständnis füreinander prägen und sie erkennen lassen, dass sie mehr eint, als trennt. So steht am Ende die Hoffnung, dass die Kinder einmal eine bessere Welt schaffen werden. Eine, von der die Erwachsenen nur träumen können. 
 
Peter Osteried