Ich. Du. Inklusion.

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Inklusion - ein viel diskutierter Begriff. Ihr oberstes Ziel: Menschen mit Behinderung sollen gleichberechtigt an der Gesellschaft teilnehmen. In Deutschland ist das Thema spätestens 2014 im schulischen Bereich angekommen. Seitdem werden an immer mehr Schulen, gesunde und unterstützungsbedürftige Kinder gemeinsam unterrichtet. Allumfassend und detailliert zeigt Thomas Binn in seiner Langzeit-Doku „Ich. Du. Inklusion.“ den Alltag an einer inklusiven Schule und die Probleme, mit denen die Involvierten zu kämpfen haben. Ein wichtiger Film, der für viele Unbeteiligte Licht ins Dunkel bringt und mit gefährlichem Halbwissen aufräumt.

Webseite: www.ich-du-inklusion.de

Deutschland 2017
Regie: Thomas Binn
Drehbuch:  Thomas Binn
Länge: 95 Minuten
Verleih: mindjazz Pictures
Kinostart: 04. Mai 2017

FILMKRITIK:

Seit dem Jahr 2014 schlossen in Deutschland zahlreiche Förderschulen. Der Grund: ein EU-weites Gesetz, das für mehr soziale Gerechtigkeit sorgen soll, trat auch bei uns in Kraft. Seitdem haben Kinder mit einer Behinderung einen Rechtsanspruch darauf, an einer Regelschule unterrichtet zu werden. Gemeinsam mit gesunden Schülern. Die Aufgabe der Politik: den Schulen die nötigen Ressourcen zur Verfügung zu stellen, um die Kinder entsprechend betreuen zu können. „Ich. Du. Inklusion.“ begleitet fünf Grundschüler, mit und ohne Unterstützungsbedarf, über einen Zeitraum von zweieinhalb Jahren. Zu Wort kommen Eltern, Schüler und die Pädagogen, die einen Einblick in den Alltag einer inklusiven Schule gewähren.

Regisseur Thomas Binn begleitet den allerersten Inklusionsjahrgang an der Geschwister-Devries-Schule in Uedem (NRW). Aspekte wie Toleranz, Verantwortung und ein faires Miteinander, spielen schon lange eine große Rolle an der Schule: seit 1996 nimmt sie immer wieder auch Kinder mit Behinderung auf. Thomas Binn ist neben seiner Tätigkeit als Regisseur auch noch Autor, Fotograf und – was ihm bei diesem Film besonders zu Gute kam – Sozialpädagoge. Seit Jahren realisiert er Jungenprojekte an Grundschulen zur Stärkung sozialer Kompetenzen.

Über wenige Themen im Bereich der Bildungspolitik wurde in den vergangenen drei Jahren so hitzig debattiert und gestritten wie über die „Inklusion“. Befürworter sind der Ansicht, dass sie den Menschen dabei helfe, ihr Potenzial zu entfalten. Zudem sorge sie für mehr soziale Gerechtigkeit und intensiviere den Kontakt zwischen behinderten und nicht-behinderten Menschen. Eines der Hauptargumente der Gegner lautet, dass behinderte Menschen in einer inklusiven Gesellschaft unter Leistungsdruck geraten würden und überfordert seien. Der tägliche Umgang mit Gesunden sei ungewohnt und erinnere sie stets daran, „anders“ zu sein.

 „Ich. Du. Inklusion.“ ergreift für keine dieser beiden Seiten Partei. Er macht etwas viel Entscheidenderes: er veranschaulicht für den Außenstehen den Inklusionsprozess an einer Schule. Und das über einen Zeitraum von über zwei Jahren. Denn viele Menschen, die sich an den Diskussionen beteiligen wissen gar nicht, wie der Alltag an einer solchen Bildungseinrichtung abläuft. Sie haben keine Kenntnis darüber, wo die Hauptprobleme liegen und wie die eigentlich Beteiligten bzw. Betroffenen mit allem zurechtkommen. Mit „Ich. Du. Inklusion.“ erhält nun auch der unbeteiligte Außenstehende einen umfassenden Einblick. Erstmals auf der großen Leinwand. Unverstellt, wahrhaftig und objektiv. Der Film bringt für Nicht-Betroffene Licht ins Dunkel und leistet wichtige Aufklärungsarbeit. Genau das macht ihn so wichtig.

Binn ist mit seiner Kamera immer Teil des Geschehens, und das von Anfang an. Schon vor dem ersten Schultag besucht er einige der Kinder und deren Eltern Zuhause. Gesunde Kinder und solche mit einer Einschränkung. Gerade die Entwicklung der unterstützungsbedürftigen Schüler im Laufe der Jahre, ist spannend mit anzusehen. Binn ist u.a. beim Unterricht dabei, bei Lehrerkonferenzen, bei den Treffen der Elternpflegschaft und bei der Einzelbetreuung. Darin widmen sich die Sonderpädagogen denjenigen Kindern, die eine gezielte Förderung und Betreuung benötigen. Außerdem spricht Binn mit den Eltern, Lehrkräften, dem Schulleiter, Sonderpädagogen und mit denen, um die es bei all dem geht: den Kindern.

Im Laufe des Films wird deutlich, dass Inklusion ein höchst komplexer, vielschichtiger Prozess ist. Er kann nur dann funktionieren, wenn sich ihr alle stellen und die Herausforderung annehmen. Eine einfache, kurze Abhandlung des Themas ist nicht möglich. Was aber möglich sein sollte, das macht der Film auch deutlich, ist die Bereitstellung  von entsprechenden finanziellen Ressourcen, ausreichendem Personal sowie gut ausgebildeten Fachkräfte (vor allem Sozialpädagogen). Dafür muss die Politik sorgen. Darüber besteht, ausnahmsweise, allgemeine Einigkeit.

Björn Schneider