Messer im Herz

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Wildes Spiel mit Genremustern und Stilmitteln: In seiner zweiten abendfüllenden Regiearbeit entführt der Franzose Yann Gonzalez („Begegnungen nach Mitternacht“) den Zuschauer in die Schwulenpornoszene von Paris im Jahr 1979. Eben dort treibt ein mysteriöser Serienkiller sein Unwesen, der genauso gut aus einem Dario-Argento-Thriller stammen könnte. „Messer im Herz“ ist ein rauschhafter Mix, der seine unterschiedlichen Elemente manchmal etwas zu konfus anordnet, phasenweise aber dennoch einen eigenwilligen Sog entfacht.

Webseite: www.salzgeber.de/messerimherz/

Originaltitel: Un couteau dans le coeur
Frankreich/Mexiko/Schweiz, 2018
Regisseur: Yann Gonzalez
Drehbuch: Yann Gonzalez, Cristiano Mangione
Darsteller: Vanessa Paradis, Nicolas Maury, Kate Moran, Jonathan Genet, Félix Maritaud, Khaled Alouach, Noé Hernández, Romane Bohringer, Pierre Pirol
Länge: 102 Minuten
FSK: ab 16 Jahren
Verleih/Vertrieb: Edition Salzgeber
Kinostart: 18.07.2019

FILMKRITIK:

Dass Sex und Gewalt in seinem neuen Film eng verbunden sind, unterstreicht Gonzalez gleich zu Beginn, wenn ein junger Erotikdarsteller in einem Club auf einen seltsam maskierten Mann trifft. Nur wenig später landen die beiden im Bett. Und plötzlich holt der Vermummte einen Dildo hervor, in den eine Schnappklinge eingearbeitet ist. Sein Begleiter weiß nicht, wie ihm geschieht, und stirbt schließlich einen grausamen Tod. Das eigenartige Mordwerkzeug weckt Erinnerungen an Michael Powells einst skandalträchtiges Meisterwerk „Augen der Angst“, das den jungen Karlheinz Böhm als einen obsessiven Killer mit einer ungewöhnlichen Tötungsapparatur zeigt. Denken muss man beim Anblick des fetischistisch überhöhten Maskenmeuchlers auch an die berüchtigten italienischen Giallo-Werke der siebziger Jahre, mit denen etwa Leinwandästhet Dario Argento zu einem international gefeierten Filmemacher aufstieg. In den Sinn kommt einem ferner William Friedkins fiebriger New-York-Thriller „Cruising“, der einen von Al Pacino gespielten Polizisten beim Abtauchen in die homosexuelle Subkultur beobachtet.
 
„Messer im Herz“ verbeugt sich tief vor den expressiven, voyeuristischen Spannungsarbeiten der damaligen Zeit und ist zugleich eine Hommage an das französische Porno- und Underground-Kino jener Dekade. Gonzalez tritt keine konventionelle Mördersuche los, sondern entwirft ein vibrierendes, lustvoll exaltiertes Sittenbild, das mit vertrauten Nervenkitzel- und Krimielementen jongliert.
 
Im Zentrum der hypnotischen, von klassischen Erzählregeln losgelösten Handlung steht die Pornoproduzentin Anne Parèze (Vanessa Paradis), die das Ende ihrer Beziehung zur Cutterin Loïs (Kate Moran) noch lange nicht verwunden hat. Immer wieder schreit sie ihren Schmerz und ihre Wut in die Welt hinaus und hofft inständig, dass sie vielleicht doch noch eine neue Chance bekommen möge. Parallel lässt sich die Filmemacherin davon inspirieren, dass der maskierte Mörder es offenbar ausschließlich auf Mitglieder ihres verschworenen Ensembles abgesehen hat. Obwohl seinen Attacken immer mehr Pornoschauspieler aus ihrem direkten Umfeld zum Opfer fallen, verarbeitet Anne die Taten und die lethargisch wirkenden Polizeiermittlungen postwendend in neuen, schnell heruntergekurbelten, reichlich trashig anmutenden Filmen.
 
Die Grenzen zwischen der Handlung von „Messer im Herz“ und den von Anne organisierten Dreharbeiten über die Morde verschwimmen mehrfach, was für einige Irritationsmomente sorgt. Überhaupt weigert sich der experimentelle Thriller, das Publikum in Sicherheit zu wiegen. Immer wieder tauchen schräge Figuren auf. Wiederholt schieben sich unerklärliche Elemente – etwa einen unheimlichen Vogel – in den Vordergrund. Und noch dazu erzeugen markante Farbspiele und brodelnde Synthesizer-Klänge eine betont surreale Atmosphäre.
 
Spannung im herkömmlichen Sinne baut der wilde, unberechenbare Ritt durch menschliche Abgründe sicher nicht auf. Eine diffuse Intensität stellt sich, zumindest in einigen Passagen, aber sehr wohl ein. Großen Anteil daran hat nicht zuletzt Vanessa Paradis, die sich die Seele aus dem Leib spielt und Annes turbulentes Innenleben auf geradezu schmerzhaft beklemmende Weise nach außen kehrt. Die etwas wirr enthüllten Hintergründe der Mordserie besitzen ebenfalls emotionale Kraft und lassen einen am Ende regelrecht mit dem Killer mitleiden. Nichtsdestotrotz bleibt seine Geschichte in küchenpsychologischen Mustern gefangen. Wahrscheinlich eine ganz bewusste Entscheidung des Regisseurs. Immerhin kennt man es aus den eifrig zitierten Giallo-Schlitzern nicht anders.
 
Christopher Diekhaus