The Guilty

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Die Notrufzentrale der Polizei stellt man sich gewiss nicht als den Schauplatz eines spannenden, psychologischen Thrillers vor. Doch genau hier spielt Gustav Möllers „The Guilty“, der ausschließlich den Polizisten Asger zeigt, der am Telefon eine Notlage lösen will – und dabei nach und nach seine eigene ambivalente Moral offenbart. Ein bemerkenswertes, dichtes, vielschichtiges filmisches Experiment.

Webseite: nfp-md.de

Den skyldige
Dänemark 2017
Regie: Gustav Möller
Buch: Gustav Möller & Emil Nygaard Albertsen
Darsteller: Jakob Cedergren
Länge: 85 Minuten
Verleih: NFP
Kinostart: 18. Oktober 2018

FILMKRITIK:

Asger (Jakob Cedergren) arbeitet in der Notrufzentrale der dänischen Polizei. Nicht ganz freiwillig ist er aus dem Außendienst ans Telefon versetzt worden, am nächsten Tag muss er sich vor Gericht für einen Vorfall verteidigen, der seine Urteilskraft anzweifeln lässt. Doch heute Abend nimmt er noch Notrufe entgegen, die er eigentlich nur aufnehmen und bei Bedarf einen Streifen- oder Krankenwagen vorbeischicken soll.
 
Doch Asger kann nicht anders, als mehr zu tun. Und so gibt er auch nicht so schnell auf, als er einen Moment Iben in der Leitung hat, eine verängstigte Frau, die angibt, dass sie gerade von ihrem Ex-Mann entführt wird. Frei sprechen kann sie nicht, doch Asger ist ein cleverer Polizist und entlockt ihr wertvolle Hinweise. Doch die Farbe des Autos reicht nicht und so ruft er bei der Frau zu Hause an und hat plötzlich ein weinendes Kind am Apparat.
 
Immer weiteren Hinweisen geht er nach, informiert die Einsatzleitung, aber auch seinen ehemaligen Partner Rashid, den er kurzerhand dazu auffordert, ins Haus eines Verdächtigen einzubrechen. Alles, um einer Frau zu helfen. Doch immer deutlicher wird, wohin dieses überschreiten von Grenzen Asger geführt hat, dass er zwar versucht, seinen Job zu tun, dass er aber auch selbst Schuld auf sich geladen hat.
 
Schon beim ersten Notruf, bei dem man Asger zuhört wird deutlich, dass dieser Mann nicht ganz unkompliziert ist: Ein Mann ruft da an, meldet einen Unfall, wirkt überdreht. Schnell merkt Asger, dass der Mann unter Drogen steht und meint dazu nur trocken: Da sind Sie ja dann ein wenig selber schuld, oder? Später wird er eine Frau anmotzen, die wegen eines im betrunkenen Zustand erlittenen leichten Fahrradunfall nach einem Krankenwagen verlangt, während Asger gerade mit zunehmender Verzweiflung versucht, eine Entführung aufzuklären, die längst nicht mehr unblutig verläuft.
 
Während seine Kollegen ihm immer wieder sagen, er solle sich raushalten, nur seine Pflicht tun, kann Asger nicht anders, als sich einzubringen, als die Sache zu lösen. Nur: Was genau ist die Sache? Wie viel von dem, was sich da draußen abspielt, ist tatsächlich so, wie es Asger glaubt? Genau wissen kann er es nicht, er interpretiert nur, setzt aus den Informationsstücken, die er nach und nach bekommt, eine Wahrheit zusammen, seine Wahrheit, die jedoch nicht die ganze Wahrheit ist.
 
Enorm effektiv offenbart Gustav Möller in seinem ersten Langfilm nach und nach neue Details, die den Fall, vor allem aber Asgers Charakter, komplexer und ambivalenter erscheinen lassen. Nie verlässt er dabei die Notrufzentrale, bleibt stets bei seinem brillanten Hauptdarsteller Jakob Cedergren, auf dessen expressivem Gesicht, vor allem aber in dessen Kopf, wo sich der ganze Film abspielt.
 
So reduziert waren selbst vergleichbare Filme wie „Phone Booth“, „Buried“ oder „Locke“ nicht, die respektive in einer Telefonzelle, einem Sarg oder einem Auto spielten, aber viel mehr visuelle Spielereien bemühten, um die Spannung zu halten. „The Guilty“ dagegen lebt nicht nur von der extremen Ausgangssituation, sondern von der psychologischen Komplexität, die zunehmend deutlich wird: Asger will Gutes tun, will seinen Beruf nicht nur nach Vorschrift erfüllen, sondern darüber hinausgehen, doch was, wenn er dabei das Gegenteil bewirkt und er selbst zum Schuldigen wird?

Michael Meyns