The Wailing – Die Besessenen

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Die Kleinstadt Gokseong wird von einer scheinbar unmotivierten Gräueltaten heimgesucht. Während die Ermittlungen sukzessive ins Leere führen, vermuten die Anwohner einen japanischen Einsiedler hinter der scheinbar übernatürlichen Heimsuchung. Na Hong-jin vereint mit seinem dritten Film Genre-Motive mit Paranoia, Fanatismus und Subtexten der koreanischen Geschichte zu einem epischen Horror-Thriller und beweist, dass er auch weiterhin zu den faszinierendsten Genre-Regisseuren Südkoreas zählt.

Webseite: www.alamodefilm.de

Südkorea 2016
Regie & Buch: Na Hong-jin
Darsteller: Kwan Do-won, Hwang Jung-min, Jun Kunimura, Chun Woo-hee, Kim Hwan-hee
Länge: 156 Minuten
Verleih: Alamode Film
Kinostart: 12. Oktober 2017

FILMKRITIK:

Eine Plage kommt über Gokseong. Die Bewohner der Kleinstadt erkranken an einer rätselhaften Seuche, die sie in eine Art Raserei versetzt. Aus ihr resultieren eine Reihe bizarrer Morde, die mit dem anschließenden Tod der Infizierten endet. Die Provinzpolizisten, angeführt vom tölpelhaften Jong Gu (Kwak Do-won) sind bereits mit dem ersten Mordfall reichlich überfordert. Während die Ermittlungen zu einer Farce verkommen, bei der sich die Beamten – wie in einer waschechten Cop-Komödie – mit Inkompetenz und Misserfolgen zu überbieten scheinen, werden in der von Bergen umgebenen Gemeinde Gerüchte und Schauermärchen laut. Man vermutet einen kürzlich zugezogener Japaner hinter den rätselhaften Ereignissen.
 
Na Hong-jin hat sich bereits mit „The Chaser“ und dem darauf folgenden „The Yellow Sea“ als einer der interessantesten Regisseure des koreanischen Genrekinos etabliert. Mit „The Wailing“ fügt Na seiner Filmografie nun einen weiteren Thriller hinzu, der sich in seiner genreübergreifenden  Anlage nochmals von den Vorgängerfilmen abhebt. Zum Thema des Fremden, bzw. Fremdartigen, das in unterschiedlichen Formen immer wieder Teil von Nas Filmen ist, gesellt sich hier das Übersinnliche. Allerdings ist es in „The Wailing“ nie eine akzeptierte oder vorangestellte Tatsache, sondern viel mehr eine Ausformung der Paranoia, die mit der Mordserie im Dorf um sich greift. Nie sind Alpträume, Gerüchte und Gräueltaten dabei eindeutig auf etwas Übernatürliches zurückführbar, in ihrer zunehmenden Verdichtung aber auch kaum mehr rational zu erklären.
 
So konzentrieren sich alsbald Gerüchte und Anschuldigungen auf den fremden, von Jun Kunimura gespielten, japanischen Einsiedler, dessen Hütte auf einem Hügel fernab des Dorfes liegt. Seine Präsenz wird mit Schauerlegenden etabliert, die den alten Mann dabei zeigen, wie er mit rot glühenden Augen den Kadaver eines Rehs verschlingt, eine junge Frau vergewaltigt und einen Beobachter anfällt. Zu Beginn der Mordserie noch als Schauerlegende verlacht, werden die Gerüchte um den Fremden bald auch zum vordergründigen Gegenstand der Ermittlungen. Auch Ressentiments lassen nicht lange auf sich warten: Jong-gu und ein Kollege besuchen die Hütte des Einsiedlers, verwüsten sie und beschimpfen den alten Japaner, der nur mit trauriger Miene daneben steht. Nicht rot leuchten seine Augen, sondern gefüllt mit Zweifel und Unverständnis. So wie Jun Kunimuras Gesicht nie das preiszugeben scheinen, was in diesem rätselhaften Einsiedler vorgeht, legt auch der Film nie ohne Zweifel offen, woher das Grauen kommt, das Gokseong heimsucht.
 
In diesem Zweifel gärt der Wahnsinn. Über fast zweieinhalb Stunden streckt Na das epische Spiel aus Zweifel und Täuschung und vereint gekonnt Paranoia, Ideologie und Glaube mit den Codes des Horrorgenres. Alsbald heuert Jong-gu einen flamboyanten Hipster-Schamanen an, dessen Rituale seine erkrankte Tochter retten sollen, während ein katholischer Priester als Unterstützung für die Ermittlungsarbeit der ratlosen Polizisten hinzukommt. Zwischen Indizien, religiösen Absonderlichkeiten und bizarren Gräueltaten dringen auch Motive der koreanischen Geschichte an die Oberfläche: Die japanische Besetzung, Fanatismus und Nationalismus sind stets im Subtext der Horrormotiven spürbar. So steigert sich das kollektive und individuelle Unbehagen unter den Trommelschlägen schamanistischen Rituale zu einem Crescendo des Wahnsinns. Na spaltet diesen Wahn auf verschiedenen Handlungsebenen, die, genährt von seinem brillanten Gespür für Suspense, nachhallen wie ein Trauma.
 
Karsten Munt